Geht es Deutschland besser als gedacht? Laut einer alternativen Berechnung ist der Wohlstand im vergangenen Jahr gestiegen. Dahinter stecken aber nicht nur positive Entwicklungen.
Trotz einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung ist der gesellschaftliche Wohlstand in Deutschland einer neuen Berechnung zufolge im vergangenen Jahr gestiegen. Der Nationale Wohlfahrtsindex, der Aspekte wie Einkommensverteilung, Umweltbelastung und Konsumausgaben berücksichtigt, legte um 2,3 Prozent zu, wie die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung am Freitag in Düsseldorf mitteilte. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) war 2024 dagegen um 0,6 Prozent gesunken. Der Index gilt als eines von mehreren wissenschaftlich diskutierten Messinstrumenten jenseits des BIP, hat aber keinen offiziellen Status.
Hauptgrund für den Anstieg waren laut Mitteilung höhere Konsumausgaben: Private Haushalte gaben preisbereinigt 13,6 Milliarden Euro mehr aus, öffentliche Haushalte 11,8 Milliarden Euro – vor allem für Gesundheit sowie Familien- und Kinderleistungen. Auch eine leicht gesunkene Einkommensungleichheit wirkte sich positiv aus. Gleichzeitig gingen Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen zurück, was den Index ebenfalls stützte. Laut den verantwortlichen Forschern hängt dieser Rückgang jedoch teilweise mit der schwachen Konjunktur zusammen, die Arbeitsplätze gefährde.
Belastend wirkten unter anderem steigende Kosten für das Pendeln zur Arbeit und höhere Schäden durch Naturkatastrophen. Es sei ungewöhnlich, dass sich der Index besser entwickelt als das BIP: Seit 1991 sei der Wohlfahrtsindex nur um 24 Prozent gestiegen, die Wirtschaftsleistung dagegen um 48 Prozent.
Wie sich der Index 2025 entwickeln wird, ist laut den Autoren schwer vorherzusagen. Zwar erhöhte sich der Konsum zu Jahresbeginn weiter, zugleich könnte ein höherer Energieverbrauch die Umweltbilanz verschlechtern. Auch die Nullrunde beim Bürgergeld könne soziale Komponenten belasten.
Langfristig halten die Forscher deutliche Steigerungen des Index für möglich. Sollte Deutschland seine Klimaziele erreichen und die Einkommensungleichheit auf das Niveau von 1999 zurückführen, könnte der Index ihren Berechnungen zufolge bis 2035 von derzeit rund 111 auf etwa 144 Punkte steigen.
Der Nationale Wohlfahrtsindex wird seit 2009 auf Initiative des Umweltbundesamts von der Heidelberger Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft berechnet. Die Arbeit wird vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung gefördert. Ziel ist es, Wohlstand breiter abzubilden als das BIP, indem neben Konsumausgaben auch soziale und ökologische Faktoren in die Bewertung einfließen.