Studie: Widerspruchslösung sorgt nicht für mehr Organspender

Rund 8.400 Menschen warten in Deutschland derzeit auf ein Spendeorgan – viele davon vergeblich. Wie kann man die Spendenbereitschaft erhöhen?

Die Mahnung kommt gebetsmühlenartig: Deutschland hat zu wenig Organspenden, heißt es von Ärzteverbänden, Patientenvertretern und Politikern aller Parteien. Weil die Spenderzahlen trotz aller Reformen seit Jahren niedrig bleiben und Deutschland im internationalen Bereich auf den hinteren Rängen liegt, wird der Ruf nach einer grundlegenden Reform der Transplantationsmedizin immer lauter.

Die Zahl der Organspenden war 2022 auf 2.795 massiv eingebrochen. 2023 stieg die Zahl zwar auf 2.985, was aber lediglich dem Niveau vor der Corona-Pandemie entspricht. Es gab 965 Spender. Derzeit stehen nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) aber rund 8.400 Schwerstkranke auf der Warteliste.

Vom Bundesrat und den Gesundheitsministern Karl Lauterbach und Karl-Josef Laumann bis zur Bundesärztekammer: Die Einführung einer Widerspruchslösung soll den Trend drehen. Dann wären alle Bundesbürger potenzielle Organspender, außer sie haben ausdrücklich widersprochen. Bislang gilt eine Zustimmungslösung: Nur wer ausdrücklich zu Lebzeiten zugestimmt hat, steht als Spender zur Verfügung. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unterstrich kürzlich, „dass wir langfristig die Zahl der Organspenden nur erhöhen können, indem wir die Widerspruchslösung einführen“.

Doch eine am Dienstag in Essen veröffentlichte Stellungnahme des RWI – Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung gießt viel Wasser in den Wein: Zwei neuere wissenschaftliche Studien zeigen laut RWI, dass das Problem nicht durch eine Widerspruchslösung behoben werden könne. „Diese erhöht zwar die Anzahl der potenziellen Organspender, nicht aber die Anzahl der tatsächlichen Spender“, heißt es.

Eine in der Fachzeitschrift „kidney International“ veröffentlichte Studie britischer Wissenschaftler verglich 17 OECD-Länder mit Widerspruchslösung mit 18 OECD-Ländern mit Zustimmungsregel. Das Ergebnis: Es gab keinen statistisch bedeutsamen Unterschied im Anteil der tatsächlichen Organspender. Die Länder mit Widerspruchslösung hatten aber sogar weniger Spenden von lebenden Personen.

Eine zweite Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung analysierte fünf Länder, die von einer Zustimmungsregel auf eine Widerspruchsregel umgestellt hatten (Argentinien, Chile, Schweden, Uruguay und Wales). Der Wechsel führte zwar zu einem Anstieg der potenziellen Spender, nicht aber zu einem Anstieg der tatsächlichen Organspender.

Auch das Vorzeigeland Spanien, seit mehr als 30 Jahren weltweiter Rekordhalter bei den Organspenden, zeigt nach Einschätzung der Wissenschaftler, dass mit einer Widerspruchslösung allein noch nicht viel gewonnen ist. Spanien hat im vergangenen Jahr 5.861 Organtransplantationen vorgenommen. Die Spendenquote liegt demnach bei 48,9 Spendern pro eine Million Einwohner, weit vor denen anderer EU-Staaten wie Frankreich (25,8), Italien (25) oder Deutschland (11,4).

Doch als das Land die Widerspruchslösung einführte, zeigten die Spenderzahlen nicht nach oben. Erst als die Regierung zusätzlich gezielte strukturelle Änderungen einführte, stiegen die Spenden deutlich an, wie das Leibniz-Institut berichtete. Zu diesen Änderungen gehörten hinreichende finanzielle Anreize für Krankenhäuser, damit sie die notwendige Infrastruktur bereitstellten, ein Transplantations-Netzwerk, das den Ablauf effektiv organisiert, Bildungsprogramme und die Schulung von Koordinatoren, die sich Zeit nehmen, um mit den Angehörigen zu sprechen – denn es ist die Familie, die am Ende meist die Entscheidung trifft.

Auch für Deutschland sehen die Wissenschaftler solche Reformen als sinnvoll an. Sie verweisen auf die grundsätzlich hohe Spendenbereitschaft: Laut Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) stehen 84 Prozent der Befragten einer Organ- und Gewebespende positiv gegenüber. Es komme also darauf an, durch strukturelle Reformen zu erreichen, dass sich potenzielle Spender auch in tatsächliche Spender verwandelten, so die Wissenschaftler. Solche Reformen gab es bereits: 2020 beschloss das Parlament ein Gesetz, das etwa mehr Geld für Kliniken und mehr Rechte für Transplantationsbeauftragte in den Kliniken vorsieht.