Streit um Bildung und Bekehrung

Die Universität Tübingen ist als Hochburg der christlichen Theologie bekannt. Und wo viele Theologen sind, wird viel gestritten. Die jüngste Debatte dreht sich um die „Christlichen Hochschultage“, die am Donnerstag zuende gegangen sind: eine Reihe theologischer und gesellschaftlicher Vorträge mit kostenlosen Mahlzeiten. Veranstaltet wurden sie von 120 Studierenden, die auch bei der „Studentenmission Deutschland“, „Campus Connect“ oder dem „Albrecht-Bengel-Haus Tübingen“ aktiv sind.

Eine zweite Gruppe – das Tübinger „Schwäbische Tagblatt“ zählt etwa 70 Studierende – hat sich vor der Stiftskirche um einen großen Lautsprecher versammelt. Als Erster greift Raphael Kupczik zum Mikrofon, selbst Theologiestudent. Er will „vulnerable Menschen schützen vor einfachen Maschen von Missionierenden.“ Schließlich zielten die Hochschultage vor allem auf Studierende ab, die mit Leistungsdruck oder Sinnkrisen kämpfen. Der Name der Kundgebung: „Bildung statt Bekehrung“.

Die Debatte ist alles andere als neu. Bereits 1952 gab es in der Evangelischen Studentengemeinde Tübingen einen Aufruhr gegen die Hochschultage. Der Historiker Jonathan Schilling hat das Phänomen untersucht. Er spricht von „Mission als Grenzscheide“ christlicher Hochschulgruppen.

Neu dürften manche der Vorwürfe sein. Sie treffen vor allem eine Rednerin der Hochschultage: Jana Highholder, eine junge Ärztin aus Koblenz, von 2018 bis 2020 YouTube-Botschafterin für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Laut einer Stellungnahme der Evangelischen und der Katholischen Studierendengemeinde zu den Hochschultagen hetzt sie in sozialen Medien gegen Minderheiten und Gleichberechtigung.

Auch Raphael Kupczik wird persönlich. Er zeigt auf einen Studenten mit Sonnenbrille, der neben der Stiftskirche ein weißes Plakat in die Luft reckt. „Bildung und Bekehrung“ steht darauf. In ihm sieht Kupczik „das perfekte Beispiel von politischem Rechtssein und auch religiöser Rechten, ein Mitglied der Studentenverbindung Germania.“ Man würde ja gerne über solche Probleme ins Gespräch kommen, ergänzt die Folgerednerin. Doch „diesen Dialog auf Augenhöhe sehe ich in der gesamten Veranstaltung der Hochschultage nicht.“

Ein Tag später im Clubhaus der Uni Tübingen, einem von zwei parallelen Treffpunkten der Hochschultage. Die Schlange vor der Essensausgabe reicht durch das ganze Treppenhaus bis zur Eingangstür. Auch der Student mit Sonnenbrille wartet hier – und stellt sich als Caden vor. „Mir ist bewusst, dass das Wort ‚Bekehrung‘ manchmal mit Zwang verbunden wird“, sagt er über sein Plakat. „So sollte das nicht sein. Ich liebe Jesus und ich möchte ohne Zwang allen Menschen über ihn erzählen.“ Wegen seines Weltbildes gehöre er schon seit zwei Jahren nicht mehr zur Germania-Verbindung, betont Caden. Der Redner auf der Kundgebung habe das auch gewusst, aber bewusst falsch gesagt.

Als eine halbe Stunde später die Spätzle knapp werden, sitzen gut 100 Studierende mit vollen Tellern im Clubhaus und löchern Matthias Clausen mit ihren Fragen. Der Pfarrer und Theologieprofessor aus Marburg erklärt, dass sich der christliche Glaube für alle lohne. Trotz Missbrauchsskandalen in der Kirche und unterschiedlicher Haltungen zur Sexualethik. „Ich glaube ja an Christus und nicht an die Christen. Wenn etwas wahr ist, dann wird es nicht dadurch unwahr, dass Menschen das Gleiche behaupten, aber selbst unglaubwürdig sind.“

Am Abend erscheint die nächste Stellungnahme zum Thema, diesmal von der Leitung der Hochschultage: „Wie wir mit unseren Aktionen niemandem religiöse Ansichten aufzwingen, erbitten wir im Gegenzug dieselbe Toleranz für uns.“ Sofort wird der Text auf Instagram diskutiert. Kommentatoren bezichtigen einander gegenseitig der Doppelmoral. Erstaunlich gut passt da auch das diesjährige Motto der Hochschultage: „Breaking News“, zu Deutsch „Eilmeldungen“ oder „Schlagzeilen“. Nur, dass die Veranstalter damit eigentlich das Evangelium gemeint haben – und keine politischen Kontroversen. (1310/13.06.2024)