Keine Waffen mehr für Israel: Nachdem das israelische Kabinett ein noch härteres militärisches Vorgehen der israelischen Armee im Gaza-Streifen beschlossen hatte, entschied die Bundesregierung, bis auf Weiteres keine Rüstungsgüter mehr an Israel zu liefern, die im Gaza-Streifen zum Einsatz kommen können. Es lasse sich immer weniger erkennen, wie die Freilassung der Geiseln und Verhandlungen über einen Waffenstillstand erreicht werden sollen, hatte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zur Begründung erklärt. Eine Entscheidung, für die es viel Zuspruch, aber auch Kritik gab. Ein Pro und Contra zu dieser Entscheidung.
„Der Stopp von Waffenlieferungen war überfällig“
von Arnd Henze
Was gegenwärtig in Israel geschieht, ist auf der Welt und wohl auch in der Geschichte beispiellos: Hunderttausende demonstrieren mitten im Krieg gegen die Politik der eigenen Regierung und für die Herrschaft des Rechts gegenüber Willkür nach innen und außen. Frühere Regierungs- und Parlamentschefs sind ebenso Teil der Bewegung, wie führende Militärs und Geheimdienstoffiziere. Ob die Regierung im Gaza einen Genozid begeht oder in der Westbank ein Apartheid-Regime etabliert, wird in Israel mit ebenso großer Leidenschaft debattiert, wie in den USA und Europa.
Israel ist streitbare Demokratie
Der jüdische Staat erweist sich einmal mehr als nicht nur die einzige Demokratie der Region, sondern als eine besonders streitbare. So zeigt die Zivilgesellschaft, wie tief das Recht für jüdisches Leben und Denken seit den Zeiten der Thora auch im säkularen Staat konstitutiv bleibt: „Im Hause dieses Herrschers liebt man das Recht“, heißt es im Psalm 99 – und das auch und gerade im Widerspruch zu einer Regierung, die den Rechtsstaat nach innen aushöhlt und alle Regeln des humanitären Völkerrechts im Gaza und in der Westbank missachtet.

Die Verantwortung für die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson gilt diesem demokratischen Rechtsstaat und seinen Menschen. Sie darf niemals auf die bedingungslose Unterstützung einer das Recht beugenden Regierung von Ministerpräsident Netanyahu reduziert werden. Sowenig es Deutschland dabei zusteht, sich in die internen Angelegenheiten Israels einzumischen, so klar ist die Politik der Bundesregierung an die Regeln des humanitären Völkerrechts gebunden. Und an diesem Punkt ist der teilweise Stopp von Waffenlieferungen nicht nur politisch richtig, sondern rechtlich zwingend geboten und längst überfällig: Denn kein Staat darf einem anderen Staat Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Akt leisten, wenn er um die Umstände weiß.
Kriegsverbrechen haben systematischen Charakter
Es ist unter Völkerrechtlern nahezu unstrittig, dass Israel nach dem mörderischen Angriff der Hamas ein Recht auf Selbstverteidigung hatte und hat. Ebenso unstrittig ist aber inzwischen, dass die konkrete Kriegsführung schon lange das Gebot der Verhältnismäßigkeit verletzt und dass es immer wieder zu schweren Kriegsverbrechen kommt. Schon seit dem Frühjahr 2024 entwickelt sich ein Konsens, dass diese Kriegsverbrechen einen systematischen Charakter haben und deshalb als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu betrachten sind. Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs und der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs sind da sehr klar.
Rote Linie überschritten
Mit der vollständigen Blockade von Hilfslieferungen zwischen März und Mai 2025 war auch für Völkerrechtler, die Israel nach dem Hamas-Überfall noch verteidigt haben, eine Rote Linie überschritten. Mit der Ankündigung einer vollständigen Besetzung des Gazas ebenso wie Ankündigungen einer möglichen Annexion der Westbank war zudem klar, dass die Netanyahu-Regierung weitere völkerrechtswidrige Eskalationen zumindest in Betracht zieht. Es braucht also gar nicht die politisch und juristisch umstrittene Frage, ob Israel in Gaza einen Genozid begeht – auch wenn sich auch hier Debatte zunehmend in Richtung derer verlagert, die das für begründet halten.
Mutmaßliche Beihilfe zu Kriegsverbrechen
Für die Bundesregierung bedeutet das: jede weitere Lieferung von Waffen, die in diesen Konflikten zum Einsatz kommen können, wäre mutmaßlich Beihilfe zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Diverse Klagen vor dem Internationalen Gerichtshof und deutschen Strafgerichten laufen bereits. Die teilweise (!) Aussetzung dieser Lieferungen ist vor diesem Hintergrund eine ebenso maßvolle, wie alternativlose Maßnahme – und zugleich ein Signal, dass wir uns (wieder) an die Seite derer stellen, die das Recht lieben. Vor allem in Israel!
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Eine Frage der Verantwortung
von Philipp Peyman Engel
Freitag vorvergangener Woche, der 8. August 2025, wird in die Geschichte dieses Landes als ein historisches Datum eingehen. Als ein Tag, an dem ausgerechnet Unionskanzler Friedrich Merz die Staatsräson – das Versprechen, dass Deutschland für Israels Sicherheit einstehen wird – beerdigt hat. Die beiden Motive, aus denen sich die Staatsräson bislang speiste – als Konsequenz aus dem Holocaust die immerwährende Verantwortung für das jüdische Volk und seine Heimstatt Israel sowie die gemeinsame Wertebasis beider Länder –, existieren offenkundig nicht länger.
Man möchte dem Kanzler seine eigenen Worte vom Oktober 2024 zurufen, als der Oppositionsführer Merz die damalige Ampel-Koalition kritisierte: “Was sind Ihre Solidaritätsbekundungen für den Staat Israel eigentlich wert, wenn Sie dem Land zugleich wesentliche Teile der Hilfe in seiner so prekären Situation verweigern?” Damals hatte das von Robert Habeck (Grüne) geführte Wirtschaftsministerium ein Waffenembargo gegen Israel verhängt und Jerusalem die Unterstützung im Kampf gegen die Hamas verwehrt. Auch wenn Israel in Gaza nicht auf die wenigen deutschen Waffen angewiesen ist: Das vom Terror geschundene Land hätte die politische Rückendeckung dringend benötigt.
Der Kurs von Kanzler Merz ist beschämend
Die bittere Pointe: Ausgerechnet Friedrich Merz und seine neue Bundesregierung setzen mit dem Waffenembargo nun fort, was Annalena Baerbock und Robert Habeck begonnen hatten und nur durch Ex-Kanzler Scholz (SPD) gestoppt wurde. Es ist ein Trauerspiel. Und es ist beschämend, mit ansehen zu müssen, wie sich Kanzler Merz einmal mehr von der SPD und Umfrageergebnissen treiben lässt – erneut komplett gegen die DNA seiner Partei sowie entgegen den Überzeugungen in der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.
Etliche von ihnen fragen sich: Wie soll Israel sich künftig gegen den Terror der Hamas verteidigen und für die Freilassung der Geiseln kämpfen, wenn es militärisch im Stich gelassen wird? Darüber hinaus teilen zahlreiche CDU-Abgeordnete Merz’ Analyse nicht, wonach die Ankündigung von Israels Premier Netanjahu, künftig auch Gaza-Stadt zu besetzen, ein skandalöser Schritt sei.

Mit gutem Grund: Denn natürlich hat Israel berechtigte Sicherheitsinteressen in Gaza, und die Ankündigung, dass nach der Zerstörung der Hamas ein arabischer Staatenverbund Gaza verwalten solle, wäre ein historischer Schritt in Richtung Frieden und Sicherheit in Nahost. Man muss es so klar sagen: Der Bundeskanzler ist seiner Verantwortung nicht gerecht geworden. Merz handelt erratisch und lässt sich treiben. Er ist eingeknickt ob der massiv israelfeindlichen Stimmung im Land. Er irrlichtert durch nahöstliches Terrain, ohne das Thema wirklich zu durchdringen.
Hilfsgüter werden von der Hamas zurückgehalten
Es wäre die Aufgabe von Friedrich Merz gewesen, zu führen. Es wäre seine Aufgabe als deutscher Bundeskanzler gewesen, die Deutschen darauf hinzuweisen, was Israel alles für den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung tut. Was Israel zu ihrer Versorgung unternimmt. Es wäre seine Aufgabe gewesen, darauf hinzuweisen, in welchem Ausmaß Hilfsgüter von der Hamas gestohlen und zurückgehalten werden. In welchem Ausmaß die Hamas ihre eigene Bevölkerung knechtet und als Märtyrer opfert, um weltweit den Krieg der Bilder zu gewinnen.
Und es wäre seine Aufgabe gewesen, darauf hinzuweisen, dass der Krieg, den Israel nie wollte, innerhalb weniger Stunden enden würde, wenn die Hamas die Waffen niederlegt und die Geiseln freilässt. Übrigens: Es befinden sich noch sieben Deutsch-Israelis unter den Verschleppten – auch darauf hätte der Bundeskanzler seit Amtsübernahme bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufmerksam machen müssen.
