Stimme des “besseren Amerika”

Zwar trommelt Bruce Springsteen nicht hörbar für Kamala Harris im US-Präsidentschaftswahlkampf. Doch kann die demokratische Präsidentschaftskandidatin darauf vertrauen, dass ihr der prominente Musiker aus New Jersey im Hintergrund den Rücken stärkt. Beide eint das Ziel, die tief gespaltene US-amerikanische Nation über alle finanziellen, kulturellen und ethnischen Gräben hinweg zusammenzuführen, sie zu versöhnen. Seit einem halben Jahrhundert arbeitet sich Springsteen an seiner Lebensaufgabe ab. Am 23. September wird der Sänger und Songschreiber, den seine Fans respektvoll „Boss“ nennen, 75 Jahre alt.

Bruce Springsteen steht wie kein anderer Rockstar aus den USA für das „gute“, das anständige Amerika. Er ist ein warmherziger Patriot, der seine Hoffnung nicht aufgibt, dass sich der amerikanische Traum für alle seine Landsleute eines Tages erfüllt und sie in Frieden und Wohlstand zusammenleben.

In seinen Songs erzählt er Geschichten aus der Arbeiter- und Mittelschicht in seinem „Land of Hope and Dreams“ – so lautet ein Titel. Springsteen singt von den „kleinen Leuten“, die das Land am Laufen halten – und die oft vergessen werden: der Stahlarbeiter, der seinen Job verliert („Youngstown“), der Vietnam-Veteran, um den sich keiner schert („Born in the USA“), den Aids-Kranken, der ausgegrenzt wird („Streets of Philadelphia“).

140 Millionen Alben hat Bruce Springsteen bisher verkauft, er hat treue Fans in aller Welt, füllt mit seinen meist dreistündigen Shows noch immer die größten Arenen. Der Musiker ist befreundet mit dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, mit dem er in einem gemeinsamen Buch und Podcast über Wege hin zu einem besseren Amerika sinniert. Er sang 2021 bei der Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris.

Und doch ist der Superstar auf dem Boden geblieben: Der Mann mit irisch-niederländischen und italienischen Wurzeln stammt selbst aus einer katholischen Arbeiterfamilie. Bescheidenheit, Ehrlichkeit und vor allem Gemeinschaftssinn sind die uramerikanischen Werte, die Springsteen verkörpert. Jeans, T-Shirt, Workerhemd, Stiefel und eine verschrammte E-Gitarre bleiben sein Markenzeichen. Springsteen glaubt daran, dass Amerika das in der Bibel verheißene „versprochene Land“ sein könnte, das die Pilgerväter aus Europa im 17. Jahrhundert suchten. „Mein Traum ist, in einer Welt zu leben, in der Gerechtigkeit herrscht“, schreibt er auf Facebook.

„Für jeden gibt es einen Platz in Bruce Springsteens Amerika“, würdigte ihn US-Präsident Barack Obama bei der Verleihung der „Medal of Freedom“ (2016), der höchsten zivilen Auszeichnung der USA. Als ein Chronist Amerikas warnt Springsteen vor den Abwegen, schreit seine Wut über Ungerechtigkeiten mit lauter, rauer Stimme hinaus.

Und er gemahnt an die Menschlichkeit, die er durch populistische Scharfmacher wie Ex-Präsident Donald Trump bedroht sieht. Den Politiker bezeichnete er 2016 als „ungeheuren toxischen Narzissten“. Schon damals verbot er dem Republikaner, seinen Song „Born in the USA“ bei Wahlkampfveranstaltungen zu spielen – wie bereits 1984 Ronald Reagan.

Von einem Folksänger entwickelte sich Springsteen zum Stadionrocker. Schon das Erstlingswerk „Greetings from Asbury Park, N.Y.“ (1973) präsentierte zeitlose Songs mit bildreicher Sprache: „Blinded by the Light“, „Spirits in the Night“, „For You“. Internationale Aufmerksamkeit erreichte er mit dem Album „Born to Run“ (1975).

Akustikgitarre und Mundharmonika legte er 1984 für das stampfende Hitalbum „Born in the USA“ zur Seite. Bis heute ist es das erfolgreichste seiner 21 Studioalben. Songs wie „I’m on Fire“ und „Dancing in the Dark“ sprachen die Massen an. Springsteen, der auf dem Albumcover vor der US-Flagge mit einem Baseball-Käppi in der Gesäßtasche seiner Jeans posierte, war nun eine amerikanische Ikone – und ein Sexsymbol.

Wesentlich verantwortlich für den typischen Springsteen-Sound mit rockenden Gitarren, scharfen Bläsersätzen und eingängigen Harmonien ist die „E Street Band“. Seit bald 50 Jahren spielt Springsteen mit seinen Freunden aus Teenager-Tagen zusammen – mit dabei ist seine zweite Ehefrau Patti Scialfa als Backgroundsängerin und Gitarristin.

Eine vor zwei Jahren gestartete Welttournee führte Springsteen im Juli für ein einziges Deutschland-Konzert nach Hannover – ein Dokumentarfilm mit dem Titel „Road Diary“ erscheint im Oktober. „Ich will weiter rocken, bis die Räder abfallen“, sagte er anlässlich der Weltpremiere beim Toronto International Film Festival.

Und vielleicht trommelt Springsteen doch noch ein bisschen für Kamala Harris und ihren Vize Tim Walz vor der US-Präsidentschaftswahl im November. Walz würde es gefallen, in einem Wahlkampf-Video outete sich der Gouverneur von Minnesota als „Boss“-Fan. Harris steht eher auf den verstorbenen Künstler Prince: „Ich bin mehr ein Hip-Hop-Mädchen.“