Stich in Sachsens Schatzkammer
Der Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden war eines der spektakulärsten Kunstdelikte nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Großteil der Beute ist wieder da. Doch es bleiben Fragen offen.
Ein Fenstergitter wird unbemerkt durchtrennt, eine Vitrine mit roher Gewalt eingeschlagen, historischer Schmuck im Versicherungswert von knapp 114 Millionen Euro binnen weniger Minuten gestohlen. Später geht das Fluchtauto in Flammen auf. Was wie ein Drehbuch für einen Kriminalfilm klingt, ist in Dresden unvorstellbare Wirklichkeit geworden. Am 25. November jährt sich der spektakuläre Juwelendiebstahl zum fünften Mal.
Es war ein Schock für die gesamte Kunstwelt: Bei dem Coup drangen zwei Diebe blitzschnell ins angeblich hochgesicherte Historische Grüne Gewölbe im Erdgeschoss des Dresdner Residenzschlosses ein. Im Juwelenzimmer zerstörten sie eine Vitrine mit der Axt und nahmen aus Sachsens Schatzkammer 21 barocke Schmuckstücke mit, darunter auch einen mit Edelsteinen besetzten Degen und den „Sächsischen Weißen“, einen 50 Karat schweren Diamanten. Vor dem Schloss warteten ihre Komplizen, die Flucht gelang, zumindest vorerst.
Grünes Gewölbe: DNA-Spuren am Fluchtauto hatten zu Tätern geführt
Der Chefermittler der ehemaligen Sonderkommission „Epaulette“, Olaf Richter, erinnert sich im Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) für die Reportage „Exakt – Die Story“: „Berlin geriet schnell in den Blick.“ Tatsächlich wurden im Januar 2022, gut drei Jahre nach dem Diebstahl, sechs Mitglieder des Remmo-Clans aus Berlin vor dem Landgericht Dresden angeklagt. Fünf erhielten im Mai 2023 mehrjährige Haft- und Jugendstrafen.
DNA-Spuren am Fluchtauto, Splitter der Schmuckvitrine und ein herausgetrenntes Teil des Dresdner Schlossgitters hatten zu ihnen geführt. Dass die Urteile zwischen vier Jahren und vier Monaten bis sechs Jahren und drei Monaten Freiheitsentzug vergleichsweise milde ausfielen, hat mit dem „Weihnachtswunder“ zu tun.
Im Dezember 2022 gaben die Diebe die meisten Stücke zurück
Denn kurz vor Weihnachten, im Dezember 2022, gaben die Diebe nach Vermittlung ihrer Anwälte die meisten Stücke zurück. Sie stimmten einem Deal zu: Mildere Haftstrafen gegen die Beute. Bei der Übergabe lag der Großteil des Schmucks in einer Berliner Anwaltskanzlei auf dem Tisch eines Beratungsraums. So jedenfalls sagten es die Ermittler im Prozess aus.
Chefermittler Richter trug nach eigenen Angaben den Schmuck im Wert von etwa 50 Millionen Euro in einer banalen Umzugskiste eigenhändig ins Auto. Er und seine Kollegen brachten die Stücke der barocken Garnituren zurück nach Dresden. Doch sie waren beschädigt, Edelsteine herausgebrochen, von dem Degen fehlte die Klinge.
Gestohlenen Juwelen sind wieder im Grünen Gewölbe zu sehen
Nun sind die gestohlenen Juwelen seit August wieder im Grünen Gewölbe neben anderen Kostbarkeiten zu sehen: Königlicher Haarschmuck, Hutschmuck und Orden sowie Schuhschnallen und Knöpfe liegen ordentlich nebeneinander aufgereiht. Auf den ersten Blick ist alles wie vorher. Doch die Stücke sind noch nicht wieder restauriert, da nicht alle Verfahren zum Juwelendiebstahl rechtskräftig abgeschlossen sind. Als Beweismittel dürfen sie nicht verändert werden. Für die spätere Restaurierung soll eine internationale Expertenkommission gegründet werden.
Neben der neuen Vitrine im Juwelenzimmer steht ein großer Bildschirm, auf dem Erläuterungen zum Diebstahl zu lesen sind. Die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), Marion Ackermann, sprach im August von „einem besonders schönen Moment“. Es sei „ein großes Glück“, dass der Schmuck überhaupt wieder in Dresden sei. Schließlich werde den Statistiken zufolge nur ein geringer Teil von Kunstdiebstählen überhaupt aufgeklärt. Zum Jahrestag will sich Ackermann offenbar nicht noch einmal äußern. Anfragen blieben zunächst unbeantwortet.
Der Schmuck der Kurfürsten wurden von sächsischen Juwelieren im 18. Jahrhundert gefertigt. Laut Ackermann ist „dieses barocke Schmuckensemble wirklich weltweit das Bedeutendste“.
Drei bedeutende Stücke fehlen noch immer
Doch drei bedeutende Stücke fehlen noch immer. Kunstexperten vermuten, dass sie irgendwo versteckt liegen. Zwischenzeitlich fiel die SKD-Leitung auf einen angeblichen Kunsthändler rein, der Ende 2021 eines der fehlenden Schmuckstücke angeboten hatte. In Antwerpen übergab sie 40.000 Euro für nichts. Der Betrüger wurde später in Dresden verurteilt. Ackermann glaubt daran, dass auch der restliche Schmuck eines Tages zurückkehren wird.
Derweil bleiben weitere Fragenzeichen: Auch fünf Jahre nach dem Diebstahl ist unklar, wie die Täter an Insiderinformationen kamen, etwa Abläufe der Sicherheitstechnik. Das Einbruchsfenster beipielsweise wurde von den Überwachungs-Scannern nicht erfasst. „Es ist für mich und meine Kollegen schwer vorstellbar, dass eine Familie Remmo vor der Landkarte steht und sagt: Morgen ist Dresden dran“, sagt Richter im MDR-Film. Für den Chefermittler ist klar: „Es muss Insider gegeben haben, die Informationen nach außen getragen haben.“