Steinmeier warnt vor neuen Stigmatisierungen von Behinderten
Vor zehn Jahren wurde das Mahnmal zur Erinnerung an die Euthanasie-Morde in der NS-Zeit eingeweiht. Bei einem Festakt kritisiert der Bundespräsident neue Diskussionen darüber, welches menschliche Leben lebenswert ist.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat vor neuen Diskussionen über den Wert menschlichen Lebens gewarnt. “Wir dürfen nicht vergessen, was immer droht, wenn wir einmal anfangen zu fragen”, sagte Steinmeier am Montag in Berlin. Dann stünden Leben und Freiheit zur Disposition und seien fremder Verfügungsgewalt ausgesetzt.
Der Bundespräsident äußerte sich bei einem Festakt zum zehnjährigen Bestehen des Mahnmals für die Euthanasie-Opfer in der NS-Zeit. Ein entsprechender Erlass bedeutete damals das Todesurteil für europaweit rund 300.000 psychisch kranke und behinderte Menschen.
Steinmeier rief dazu auf, positive Gegenmodelle gegen Normierung und Diskriminierung zu entwickeln. “Wir brauchen positive Praktiken, angefangen bei der Schule und bei der Bildung, die die Grundüberzeugung von der Zusammengehörigkeit und von der gleichen Würde aller Menschen verwirklichen, mit welchen Einschränkungen an Geist, Seele oder Körper sie auch leben”, so der Bundespräsident.
Konkret bedeute das, dass etwa Kinder, die mit einer Beeinträchtigung durchs Leben gehen, nicht als Belastung für die Gesellschaft angesehen werden sollten. “Alle Kinder haben einen Anspruch auf bestmögliche Entwicklungsmöglichkeiten”, betonte Steinmeier. Jede und jeder solle die Möglichkeit haben, das Beste aus sich zu machen. Der Gedenkort nehme die Gesellschaft in die Verantwortung: Niemand habe über den Wert eines anderen Menschenlebens zu entscheiden. Jedes menschliche Leben sei lebenswert und habe eine unantastbare Würde.
Steinmeier nannte als Beispiel für jemanden, der gegen die Praxis der Nationalsozialisten opponiert hat, den Münsteraner Kardinal Clemens August von Galen. Dieser habe den Mord an Patienten benannt und angeprangert. Seine Worte seien ungeheuer mutig und ihre Wirkung enorm gewesen, national und international. Galens Worte hätten Wirkung gezeigt: Die zentral gesteuerte Aktion “T4” der Nazis sei erst einmal eingestellt worden – auch wenn später, dezentral und heimlicher noch, das Morden weitergegangen sei.
“T4” war ein Deckname – gewählt nach der Adresse einer früheren Gründerzeitvilla in der Berliner Tiergartenstraße 4, in der die Morde organisiert wurden. Heute stehen dort die Philharmonie und das Mahnmal.