Steinmeier kritisiert russisch-orthodoxe Kirche scharf

Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt und Klima: Weltliche Themen stehen auf der Vollversammlung des Weltkirchenrates im Zentrum. Zum Auftakt gibt es deutliche Worte vom Bundespräsidenten.

Für die Daheimgebliebenen schießen die Delegierten schnell noch ein Erinnerungsfoto
Für die Daheimgebliebenen schießen die Delegierten schnell noch ein ErinnerungsfotoThomas Lohnes / epd

Karlsruhe. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum Auftakt des Welt-Ökumene-Gipfels in Karlsruhe die russisch-orthodoxe Kirchenleitung in ungewöhnlich scharfer Form angegriffen. „Auf einen schlimmen, ja geradezu glaubensfeindlichen und blasphemischen Irrweg führen zurzeit die Führer der Russisch-Orthodoxen Kirche ihre Gläubigen und ihre ganze Kirche“, sagte Steinmeier unter großem Applaus auf der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), der mehr als 580 Millionen Christen vertritt.

Die russisch-orthodoxe Kirchenführung habe sich mit den „Verbrechen des Krieges gegen die Ukraine gemein gemacht“, erklärte Steinmeier. Sie rechtfertige „einen Angriffskrieg gegen die Ukraine – gegen ihre eigenen, gegen unsere eigenen Brüder und Schwestern im Glauben“, fügte er hinzu. Diese Propaganda müsse auf dem Ökumene-Gipfel in Karlsruhe auf Widerspruch stoßen, an dem sowohl Vertreter der russisch-orthodoxen als auch der ukrainischen Kirchen teilnehmen.

Vor Putins Karren gespannt

Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne), sagte, für ihn sei es „unfassbar“, dass sich der Moskauer Patriarch Kyrill vor „Putins Karren spannen“ lässt. Kyrill gilt als enger Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin und unterstützt Russlands Vorgehen in der Ukraine.

Bitte recht freundlich: In Karlsruhe treffen sich Vertreter von christlichen Kirchen aus aller Welt
Bitte recht freundlich: In Karlsruhe treffen sich Vertreter von christlichen Kirchen aus aller WeltThomas Lohnes / epd

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, sagte mit Blick auf den Ukraine-Konflikt, „Christi Liebe“ dulde keinen Angriffskrieg. Die westfälische Präses erinnerte an die Unverletzlichkeit der menschlichen Würde, wie sie im deutschen Grundgesetz garantiert sei

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, rief zur Einheit auf: „Leider Gottes haben wir auch in der Kirche die Erfahrung gemacht, dass es von Anfang an Tendenzen gibt, sich zu spalten, eher Unterschiede zu betonen statt zu einen.“ Die ökumenische Bewegung dagegen sei das „Werk des Heiligen Geistes“, sagte Bätzing am Rande der Tagung.


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Barbara Traub vom Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland würdigte die große Vielfalt der Religionen in Deutschland. Mit großer Sorge betrachte sie jedoch das Wiedererstarken des Antisemitismus. Es bedrücke sie, dass es auch im Weltkirchenrat Stimmen gebe, die Israel als vermeintlichen Apartheidstaat boykottieren wollten.

Israel sei der einzige demokratische Rechtsstaat im Nahen Osten, betonte Traub. Sie appellierte an die rund 4.000 Teilnehmenden, nicht auf das alte Muster des Antisemitismus zurückzufallen. Versöhnung sei nicht nur ein christliches Thema. Vielmehr bestehe der Bund Gottes mit dem jüdischen Volk weiter. Es gehe darum, die Botschaft des Friedens auszusenden, statt Vorurteile gegen „Israel und das jüdische Volk zu schüren“.

Vorwurf des Antisemitismus zurückgewiesen

Der geschäftsführende Generalsekretär des Weltkirchenrates, Ioan Sauca, wies Vorwürfe des Antisemitismus gegen den ÖRK zurück. Der Ökumenische Rat der Kirchen habe bereits bei seiner Gründung 1948 Antisemitismus als eine Sünde angeprangert, betonte Sauca. Zugleich stehe der ÖRK mit seinen 352 Mitgliedskirchen für gleiche Menschenrechte für Palästinenser ein. Ziel müsse eine auf das Völkerrecht gestützte Zweistaatenlösung im Nahen Osten sein.

Der Nahost-Konflikt ist ein Streitthema auf der Vollversammlung. Beobachter erwarten, dass Kirchen Südafrikas Israel zum Apartheid-Staat erklären wollen. Davor haben unter anderem kirchliche Antisemitismus-Beauftragte und christlich-jüdische Verbände wiederholt gewarnt. Der ÖRK steht seit Jahren in der Kritik, im Nahost-Konflikt einseitig Partei für die Palästinenser zu ergreifen.

Wie sich der ÖRK zusammensetzt

Es sei vielleicht eine Zeit, in der wir die Vollversammlung „noch nie so dringend gebraucht haben wie jetzt“, sagte EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber. Die badische Landesbischöfin Heike Springhart ergänzte, angesichts der schwierigen Weltlage gehe es darum, „ehrlich, offen und kontrovers zu diskutieren“ und den Gesprächsfaden zwischen unterschiedlichen Parteien zu erhalten.

Erstmals in der mehr als 70-jährigen Geschichte des Weltkirchenrates tagt dessen höchstes Gremium in Deutschland. Der Ökumene-Gipfel geht bis zum 8. September. Zum 1948 gegründeten ÖRK zählen die Mehrzahl der orthodoxen Kirchen, zahlreiche anglikanische, baptistische, lutherische, methodistische und reformierte Kirchen sowie viele vereinigte und unabhängige Kirchen. Die katholische Kirche ist nicht Mitglied. (epd)