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Steinmeier: Gesellschaft braucht Erinnerung an NS-Verbrechen

Es hat sehr lange gedauert, bis der deutsche Staat das Leid von NS-Zwangsarbeitern anerkannt hat. Vor 25 Jahren gründeten Regierung und Wirtschaft eine Stiftung. Millionen Opfer erhielten einen symbolischen Betrag.

80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bleibt die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten nach den Worten von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zentral für die deutsche Gesellschaft. Notwendig sei eine Schärfung des Bewusstseins dafür, wie klein die Schritte hin zur Unmenschlichkeit sein und wie leicht Grenzen überschritten werden könnten, sagte Steinmeier laut vorab verbreitetem Redetext am Dienstagabend in Berlin. Die NS-Verbrechen machten zugleich deutlich, “wie wichtig reflektierte, kritisch geprüfte und so auch unter Druck haltbare moralische und ethische Überzeugungen sind”. Es brauche Anstand, auf den man sich verlassen könne.

Der Bundespräsident äußerte sich zum 25-jährigen Bestehen der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ). Sie war im Jahr 2000 nach jahrelangem Streit ins Leben gerufen worden, um das Leid ehemaliger NS-Zwangsarbeiter und anderer Opfer anzuerkennen. Die rot-grüne Bundesregierung hatte 1998 bei ihrem Amtsantritt beschlossen, die Entschädigung der Zwangsarbeiter endlich anzugehen. Zum Festakt im Jüdischen Museum Berlin waren am Dienstag auch zehn Überlebende der NS-Verfolgung eingeladen worden.

Steinmeier verwies darauf, dass die Erinnerung an die NS-Verbrechen mit dem Aussterben der Zeitzeugen schwieriger werde. Auch eine Gesellschaft, die zunehmend von Migration geprägt sei, müsse sich die Frage nach der Form des Gedenkens neu stellen.

Der Bundespräsident erinnerte daran, dass der NS-Staat seine Verbrechen nicht allein mit rassenideologischen Begründungen oder aus machtpolitischem Kalkül begangen habe. Seine Raubzüge seien auch wirtschaftlich motiviert gewesen: gegen Jüdinnen und Juden, deren Eigentum dem Reichshaushalt zugeschlagen wurde, durch die Ausplünderung der besetzten Länder und die Versklavung von zwanzig Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, deren Arbeitskraft der Staat brutal ausgebeutet habe. “Von diesem verbrecherischen Raubzug haben viele profitiert, der Staat ebenso wie die Industrie, wie Handwerk und landwirtschaftliche Betriebe.”

Daher sei es wichtig gewesen, dass sich auch die deutsche Wirtschaft an den Zahlungen für ehemalige Zwangsarbeiter beteiligt habe. Sie und der Bund hatten sich zur Zahlung von jeweils fünf Milliarden D-Mark (knapp 2,6 Milliarden Euro) als Stiftungsvermögen verpflichtet. Als symbolische Anerkennung für ihr Leid wurde Opfern bis zu 15.000 Mark in Aussicht gestellt.

Bis 2007 hat die Stiftung nach eigenen Angaben 4,4 Milliarden Euro an mehr als 1,66 Millionen Menschen aus fast 100 Ländern ausgezahlt. Die Zahl der nach Deutschland verschleppten und ausgebeuteten Gefangenen wird auf 13 Millionen geschätzt. Rechnet man auch die Zwangsarbeit in besetzten Gebieten ein, sollen 26 Millionen Menschen betroffen gewesen sein.

Mittlerweile engagiert sich die Stiftung vor allem in der Bildungsarbeit – gegen Geschichtsverfälschung, rechtsextreme Tendenzen und Diskriminierung und für Demokratie und Menschenrechte. Dafür hat sie nach eigenen Angaben mit mehr als 313 Millionen Euro mehr als 6.000 Projekte gefördert. Dazu gehört die von der Stiftung zusammen mit der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora erarbeitete Ausstellung zur “Zwangsarbeit im Nationalsozialismus”, die an verschiedenen Orten im In- und Ausland zu sehen war und jetzt in Weimar dauerhaft Platz gefunden hat.