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Start bei der Bundeswehr: “Das war ein kleiner Kulturschock”

An den Start bei der Bundeswehr kann sich Mascha-Christine Groß, heute Oberstarzt und Kommandeurin der Evenburg-Kaserne im ostfriesischen Leer, noch gut erinnern. „Das war ein kleiner Kulturschock, warum sind die alle so streng mit mir?“, denkt sie an den Oktober 1993 zurück. Mittlerweile ist sie Chefin von etwa 800 Soldatinnen und Soldaten des Kommandos Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst „Ostfriesland“. „Aber am Anfang“, sagt sie, „habe ich mich schwergetan“.

An diesem Mittwoch ist sie Gast im Beraterkreis der Leeraner Militärpfarrerin Ulrike Fendler. Das Gremium kommt auf Initiative der evangelischen Theologin regelmäßig in Gebäude 12 der Kaserne zusammen, um die Seelsorgerin in ihrer Arbeit zu begleiten. Blumen, Kaffee, Schokolade: Den Tisch im Sitzungsraum des Backsteinbaus hat Militärseelsorgeassistentin Helene Rieken einladend gedeckt, nach und nach kommen die Gäste durch die Tür. Man kennt sich, schüttelt Hände, umarmt sich. Neben Groß und Ulrike Fendler fünf Männer, insgesamt mehr als 190 Jahre Erfahrung mit der Bundeswehr.

Heute erinnern sie sich an ihre ersten Wochen bei der Truppe und an die Entscheidung für oder gegen das Militär. „Damals, als ich 1992 angefangen habe“, meint Ralf, „war das für mich keine Frage. Da gab’s ja noch die Wehrpflicht“, sagt der Oberstabsfeldwebel, der wie alle anderen außer der Kommandeurin und der Militärpfarrerin nur mit Vornamen genannt werden darf – Persönlichkeitsschutz. Aber ein mulmiges Gefühl habe er schon gehabt: „Das ging wohl allen so.“

Die Wehrpflicht ist zwar seit 2011 ausgesetzt, doch ein Gesetz für einen neuen Wehrdienst soll angesichts der aktuellen Bedrohungslage zum 1. Januar in Kraft treten: Künftig sollen sich alle jungen Männer ab dem Jahrgang 2008 für einen Wehrdienst mustern lassen. Ziel ist es, aus dieser Gruppe mehr Freiwillige zu gewinnen. Damals wie heute gilt aber: Die Bundeswehr funktioniert in einem System von Hierarchie, Befehl und Gehorsam.

Stabsfeldwebel Tobias, seit 1995 dabei, berichtet von Menschen, die bei seinem Start „laut und deutlich mit uns geredet haben“. Klare Ansagen gibt es immer noch. Aber der Umgangston habe sich deutlich verbessert, betont die promovierte Medizinerin Groß, die sich an ihre Zeit vor der Truppe erinnert: „Als Abiturientin war ich planlos. Am Bund hat mich gereizt, dass ich nicht gleich wieder die Schulbank drücken musste, ohne dabei faul zu sein – erst mal viel Sport, viel im Freien sein, natürlich auch die finanzielle Unabhängigkeit. Und dass ich eine hochwertige Ausbildung bekomme.“

„Man wächst zusammen, hier gibt es echte Kameradschaft“, betont nicht nur Tobias. Sie seien stolz, in einer Parlamentsarmee zu dienen. So auch Konstantin, der als Seiteneinsteiger dazugekommen ist und jetzt im Rang eines Oberstabsarztes arbeitet. Er ist Nachkomme einer wolgadeutschen Familie aus dem südrussischen Nowosibirsk, Spätaussiedler. „Hier werde ich als Mensch gesehen, kann meine Muttersprache ohne Angst sprechen“, sagt der Zahnarzt, der im vergangenen Jahr bei der Bundeswehr unterschrieben hat. Er lerne viel, auch über sich selbst. „Das ist eine Entdeckungsreise in die eigene Innenwelt.“

Wie die anderen am Tisch sagt Konstantin, er wolle im Dienst „dem Land etwas zurückgeben“. Das sei kein Job, sondern Berufung, betonen alle. Aber: Als Teil der Exekutive im Ernstfall etwas durchsetzen zu müssen, das sei vielen wohl nicht klar.

Was im Vergleich zu anderen Standorten ganz anders ist: In der Evenburg-Kaserne übernachten die meisten der 800 Soldatinnen und Soldaten gar nicht mehr: checken morgens ein und gehen am Nachmittag wieder. Positiv sei für ihn auch, dass sich das Image der Truppe in der Bevölkerung stark verbessert habe, erklärt Ralf. „Ich fühle mich verstanden, mehr als früher.“ Wer dazu gehören wolle, dem rät Kommandeurin Mascha-Christine Groß: „Unvoreingenommen kommen.“