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Stärke der Diplomatie – Doku über die KSZE auf Arte

Mitten im Kalten Krieg: eine langweilige Konferenz – mit großer Wirkung. Ein aufwendiger Dokumentarfilm auf Arte zeigt, wie in Helsinki einst Weltgeschichte geschrieben wurde: durch Polit-Diplomatie.

Was bedeutet es, wenn ein Krieg “kalt” ist? Man geht einander auf die Nerven, aber nicht an die Gurgel. Das etwa meint “Kalter Krieg”, findet eine finnische Passantin, die das Fernsehen in den 1970er-Jahren für ein Straßeninterview aufschnappt – ähnlich wie in einer Ehe. Auch in der geopolitischen “Ehe”, die der Kalte Krieg war, gab es düsterere und freundlichere Zeiten. Eine der freundlicheren hieß “Détente”, also Entspannungspolitik. Détente ist, wenn Kinder auf Wiesen tanzen, Politiker sich die Hände schütteln, für Fototermine gemeinsam lachen, und sei es nur gezwungenermaßen; oder wenn sie auf Konferenzen mit Akronymen um sich werfen.

Zum Beispiel auf der “Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa” (KSZE), abgehalten in Helsinki. Deren Schlussakte gilt als Schlüsseldokument der Entspannungspolitik. Zumindest in der Rückschau. Womöglich war es eine Sternstunde der Menschheit. Als die Konferenz 1973 eröffnet wurde, begannen einige Konferenzteilnehmer allerdings schon beim ersten Redner zu gähnen. Und es folgten noch viele weitere Redner.

Weltpolitik fühlt sich selten nach Weltpolitik an, während sie sich ereignet. Sie produziert aber Bilder, seit Beginn des Fernsehzeitalters sogar Unmengen von Bildern. Der finnische Regisseur Arthur Franck hat sich durch das Archiv jener Bilder gewühlt, die während der KSZE entstanden sind. Viele Stunden Fernsehbildmaterial, das meiste redundant, nicht der Rede wert. Oft spult Franck die alten Videobänder vor.

Und doch lässt sich aus diesem Material Geschichte destillieren, beziehungsweise: Geschichten. Die daraus entstandene Dokumentation “Der Helsinki Effekt”, die Arte am 29. Juli um 22.00 Uhr zeigt, verbirgt nicht die Selektivität ihres Zugriffs. “Ich weiß erst, was ich gesucht habe, wenn ich es finde”, sagt Franck, der in der Originalfassung den Voice-Over-Kommentar selbst einspricht; in der deutschen Fassung hört man die Stimme von Bjarne Mädel. Andere Suchende würden, kann man ergänzen, nicht dieselben Funde machen.

So wie der Film die Konferenz nachzeichnet, lief sie auf einen Kuhhandel hinaus. Die Russen erreichten, dass die Grenzziehungen in Europa offiziell eingefroren wurden, was sie realpolitisch ohnehin schon waren. Und der Westen erreichte, dass sich die Russen auf dem Papier dazu verpflichteten, sich für eine Zusammenarbeit über Grenzen hinweg sowie für den freien Fluss von Informationen einzusetzen.

Viel Lärm um nicht viel, könnte man meinen. Doch Franck ist anderer Ansicht. Nicht nur mit Blick auf konkrete Ergebnisse verteidigt er die Kunst der Diplomatie. Wobei er der Ansicht ist, dass die Helsinki-Schlussakte entscheidend zum Niedergang der Sowjetunion beigetragen habe.

Die KSZE zog sich immer länger hin, was insbesondere den KPdSU-Generalsekretär Leonid Breschnew auf die Palme brachte. Nach drei Jahren bekam Breschnew seinen Willen, war historisch betrachtet dennoch der Verlierer der Konferenz. Diplomatie ist klüger als jene, die sie führen. Vielleicht sogar klüger als Henry Kissinger: Der US-Außenminister ist neben Breschnew die zweite Hauptfigur des Films. Man sieht ihn seltener, hört ihn aber umso häufiger. Beziehungsweise man hört eine KI-generierte Stimme, die Kissinger-Sätze spricht, welche nur in Papierform erhalten sind – in alten Akten, die inzwischen für die Öffentlichkeit zugänglich sind.

Kissinger macht sich keine Illusionen über die Diplomatie. Für ihn ist sie Machtpolitik. Ein Spiel, das man spielen muss, um seine Interessen durchzusetzen. Die KSZE-Konferenz? Schrecklich langweilig. Mag ja sein, wendet Franck ein, der den Film zwischendurch fast wie ein Zwiegespräch mit Kissinger inszeniert; aber gerade in dieser Langeweile zeigten sich die Stärke und Kraft der Diplomatie: Wer sich gemeinsam langweilt, geht sich zumindest nicht an die Gurgel.

Man kann darüber streiten, wie ergiebig eine solche Erkenntnis in der aktuellen Zeit ist – angesichts von Akteuren, die schlichtweg nicht diplomatisch parlieren wollen, sondern Fakten schaffen. Genauso kann man sich fragen, ob Franck die historische Bedeutung der KSZE möglicherweise ein wenig überschätzt.

Was von “Der Helsinki Effekt” bleibt, sind weniger seine Thesen als vielmehr sein aufmerksamer Blick auf die banal-menschliche Basis von Weltpolitik. Eine Gruppe älterer Herren trifft sich in einem skandinavischen Land; man reißt flache Witze über die eigenen Gewichtsprobleme, ein Fernsehreporter rückt in einem scheinbar unbeobachteten Augenblick sein Toupet zurecht. Dann wird ein Dokument unterschrieben – und alles ändert sich.