Stadtpastor nutzt Graffiti zum Dialog per Video

Eines Morgens prangte ein reformationskritischer Spruch auf der St.-Marien-Kirche. Der Flensburger Stadtpastor Johannes Ahrens nutzte das Graffiti für eine multimediale Entgegnung – inklusive einer Einladung zum Austausch über Vor- und Nachteile der Reformation.

Stadtpastor Johannes Ahrens vor dem Graffiti an der St.-Marien-Kirche in Flensburg
Stadtpastor Johannes Ahrens vor dem Graffiti an der St.-Marien-Kirche in FlensburgThorge Rühmann

von Thorge Rühmann

Flensburg. Schwarz auf Backstein steht es an der Wand: "Reformation – kein Grund zum Feiern" hat jemand mit einer Spraydose auf die Ziegelmauer der St.-Marien-Kirche in Flensburg geschrieben. Stadtpastor Johannes Ahrens sah den Schriftzug direkt nach einem Gottesdienst Anfang März. Minuten zuvor hatte er noch über das Lutherlied "Ein feste Burg ist unser Gott" gepredigt. Seine erste Reaktion war Betroffenheit. "Mein Herz schlägt sehr für Luther, er hat so Grundlegendes erkannt", sagte Ahrens. Nach dem ersten Schreck überlegte sich der Seelsorger eine Antwort.
Die fand er schließlich in Form eines Videos, das der Pastor im Internet auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte. Ahrens filmte sich selbst vor dem Graffiti, mit Digitalkamera und Stativ. Hinterher schnitt er die Szenen zusammen. Der so entstandene Kurzfilm sorgte für viel Aufsehen in der Netzgemeinde: Mehr als 4200 Aufrufe hatte das Video seither, viele Nutzer kommentierten die Aktion.

Reformation: Durchbruch einer großartigen Idee

Ahrens nahm in dem etwa zweiminütigen Film klar Stellung. Reformation sei kein Grund zum Feiern? "Für mich schon", sagte er mit Nachdruck. Und weiter: "Ich finde, Reformation ist absolut ein Grund zum Feiern: Sie ist die Geburt der Neuzeit. Sie ist die Geburt des Gewissens. Sie ist die Achtung vor dem und die Würde des Einzelnen." Wie bei jeder Geburt sei Luthers Bewegung "unter wahnsinnigen Schmerzen" entstanden, so Ahrens.
Johannes Ahrens stellte die Frage in den Raum, ob die Kirche das Gewissen der Menschen beherrschen dürfe. "Luther verneint das", so der Seelsorger. "Wir feiern mit dem Reformationsjubiläum also keinen Heiligen, sondern den Durchbruch einer großartigen Idee." Der Reformator habe auch schwierige Facetten, nicht zuletzt sein Antisemitismus sei zu nennen. Es gebe Äußerungen Luthers, "für die kann man sich nur schämen". "Auf der anderen Seite ist es so, dass ohne die Reformation ganz wesentliche Erneuerungen in Europa gar nicht stattgefunden hätten", so Ahrens. Dazu zählt der Theologe etwa wirtschaftsethische Überlegungen: Luther habe schon früh damit begonnen, Konflikte zwischen Wirtschaft und Politik aufzugreifen, sie öffentlich zu benennen und die Finanzströme seiner Zeit kritisch zu hinterfragen. Das Bild des "ehrbaren Kaufmanns", der nach gewissen moralischen Regeln handelt, sei ein Produkt der Reformation.

Einladung zum Dialog

Am Schluss des Videos lädt Ahrens jedermann dazu ein, sich auf der Internetseite www.dank-reformation.de über die Aspekte der Reformation von damals bis heute auszutauschen. Er fragt: Was ist erneuerungsbedürftig nach 500 Jahren? Wo wollen wir Akzente setzen? Explizit richtet er diese Einladung auch an den Urheber des Graffitis an St. Marien: "Bitte melden Sie sich doch, Herr oder Frau A." "Mein Traum wäre gewesen, eine Andacht vor dem Graffiti zu halten", meinte Ahrens. Doch der Kirchengemeinderat von St. Marien habe schon kurze Zeit nach der Entdeckung beschlossen, die Kirchenmauer professionell säubern zu lassen. Ahrens half dabei: Er entfernte jedoch nur den ersten Buchstaben des Wortes "kein" – so verändert entsprach das Graffiti durchaus seiner Meinung: "Reformation – ein Grund zum Feiern".

Das Video ist im Internet unter anderem auf www.kirchenkreis-schleswig-flensburg.de zu sehen.