„st. moment“-Pastorin Barnahl: „Das Bedürfnis nach Segen ist groß“

Die evangelische Kirche in Hamburg hat die Agentur st. moment gegründet. Die Leiterin und Pastorin Meike Barnahl spricht im Interview über das Bedürfnis nach Begleitung.

Pastorin Meike Barnahl ist die Leiterin der Ritualagentur in Hamburg
Pastorin Meike Barnahl ist die Leiterin der Ritualagentur in Hamburgepd-bild/Thomas Morell

Angesichts sinkender Zahlen bei kirchlichen Feiern wie Taufen und Trauungen hat die evangelische Kirche in Hamburg die Agentur st. moment gegründet. Unter der Leitung von Pastorin Meike Barnahl geht es in der Anlaufstelle um neue Konzepte für lebensbegleitende Rituale.

Trauungen, Taufen und Bestattungen sind lebensbegleitende Rituale, die im Kirchensprech unter dem Begriff „Kasualien“ gefasst werden und früher in fast jeder Familie dazu gehörten. Wie hat sich das in den vergangenen zehn Jahren entwickelt?
Meike Barnahl: Die Nachfrage ist enorm runtergegangen, hat sich teilweise halbiert. Und da ist es fast egal, ob man in den ländlichen oder in den städtischen Raum schaut. In Hamburg beispielsweise war es schon vor Corona so, dass weniger als die Hälfe der evangelischen Kirchenmitglieder kirchlich bestattet wurden. Ähnlich ist das bei den Taufen. Das hat weitreichende Folgen für Kasualien als Kern-Kontaktpunkte der evangelischen Kirche und damit natürlich auch für die Organisation selbst. Taufen, Hochzeiten, Bestattungen, aber auch andere Anlässe, die etwas mit den Umbrüchen im Leben zu tun haben, sind Schlüsselmomente, was die Bindung zur Kirche angeht.

 

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Woran liegt es, wenn die Kirche da nicht mehr gefragt ist? Sinkt das Bedürfnisse nach Begleitung? Oder gibt es andere Hindernisse?
Das ist vielschichtig. Wenn wir mit den Menschen sprechen, hören wir jedenfalls, dass das Bedürfnis nach Segen und Begleitung groß ist, sehr groß sogar. Das bestätigen auch Studien. Nur gibt es viele Hürden für die Menschen. In „st. moment“ fragen wir uns, wie wir den kirchlichen Schatz von Ritualen und Begleitung für Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen leicht zugänglich machen können.

Was sind das für Hürden?
Viele Menschen kennen sich mit dem System Kirche gar nicht mehr aus und wissen beispielsweise nicht, dass sie zu einer bestimmten Ortsgemeinde gehören, die für sie zuständig ist. Sie wissen nicht, an wen sie sich mit einer Frage wenden können. Dann gibt es eine große Scham, über die Schwelle von Kirche zu treten, weil man das Gefühl hat: Ich bin vielleicht nicht gut genug, ich geh nicht regelmäßig in den Gottesdienst. Etliche denken auch, sie können sich mit ihren Wünschen nicht frei und offen an die Kirche wenden, weil ihre Lebenssituation nicht dem kirchlichen Normalbild entspricht. Ob das wirklich stimmt, ist eine ganz andere Frage. Aber sie nehmen das so wahr. Beispiel Taufe: Wenn ich alleinerziehend bin, will ich mich dann im Sonntagsgottesdienst nach vorne stellen – und werde von allen angeguckt als nicht vollständig? Auch die Kosten spielen eine Rolle. Das ist übrigens auch bei der Hochzeit ein Thema.

Gibt es noch weitere Vorbehalte?
Andere sagen: In diese kirchliche Kultur passe ich nicht. Ich habe vielleicht einen anderen Musikgeschmack, ich sehe vielleicht anders aus als das Normalbild des Kirchgängers. Meine Familie, meine Lebenssituation ist anders. Da entstehen große Unsicherheiten und eine Menge Fragen: Darf ich meine Wünsche äußern? Darf ich der Mensch bleiben, der ich bin? Oder muss ich mich an die kirchliche Kultur anpassen? Muss ich mit Ablehnung rechnen, werde ich schief angeguckt?

Pastor Fabio Fried von der Initiative St. moment im Gespraech bei der Fusswaschung auf der Reeperbahn (Foto vom 14.04.2022)
Pastor Fabio Fried von der Initiative St. moment im Gespraech bei der Fusswaschung auf der Reeperbahn (Foto vom 14.04.2022)epd-bild/Philipp Reiss

Was die Zahlen angeht, ist es eine Abstimmung mit den Füßen: Die Menschen wollen in wachsender Zahl die bleiben, die sie sind.
Genau. Und sie wissen einfach auch nicht, wo sie sich hinwenden können. Bei dem einen Kollegen, bei der einen Kollegin ist ein bestimmter Musikwunsch überhaupt kein Problem, bei jemand anders sehr wohl. Ich möchte eine Taufe am Strand – wen kann ich da fragen? Deshalb muss die Kirche klar sagen, was alles möglich ist und wo ich mich sicher hinwenden kann. Es gibt ja schon ganz viele Angebote. Bei „st. moment“ wollen wir zeigen: Du bist hier richtig mit deinen Wünschen. Hier machen wir, was wir versprechen: Die Trauung in der Bar, am Strand. So entsteht Zuverlässigkeit. Wir begleiten die Menschen serviceorientiert, bis sie da hingekommen sind, wo sie sein möchten.

Wie sehen denn die Wünsche aus, die Ihnen zugetragen werden?
Da geht es um Musik, um die Form. Vor allem um besondere Orte außerhalb von Kirchengebäuden: die Hochzeit auf dem Jahrmarkt beispielsweise, im Rosengarten, in der Kiezkneipe, im Hafen. Dann kommen binationale Paare zu uns mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen. Viele wollen auch gar keine klassische Ehe mehr eingehen. Außerdem kann sich die traditionelle Logik der Abfolge ändern. Wir hatten jetzt etliche Paare, die kurz vor ihrer standesamtlichen Hochzeit getraut werden wollten, denen an erster Stelle der kirchliche Segen wichtig war. Und es gibt auch Menschen, die sich ohne Standesamt die Treue versprechen wollen. Wir feiern dann einen Segensgottesdienst mit ihnen. Wenn die Kirche das nicht anbietet, gehen diese Paare zu freien Ritualbegleitern.

Gibt es denn ganz neue Lebensmomente, Umbrüche, in denen Menschen begleitet werden möchten?
Das kann zum Beispiel eine Trennung sein, der Abschied von einem Wunsch in einem rituellen Rahmen, von einem Kinderwunsch zum Beispiel. Der Übergang in den Ruhestand, wenn die Kinder aus dem Haus gehen. Wo sich Paare sagen: Ich war in der Familienphase, die ist jetzt vorbei. Und nun? Der Bedarf nach Begleitung ist jedenfalls riesig. Und wir haben viel zu bieten: ein Riesenschatz mit der Kraft christlicher Rituale.

Was ist für Sie zentral, wenn Sie diesen Schatz zu den Menschen bringen wollen? Haben Sie drei Ratschläge?
Für mich ist der allerwichtigste Schritt: Von den Menschen her denken. Zu ihnen hingehen und hören, was ihr Bedürfnis ist. Der zweite Schritt: Kritisch und ehrlich schauen, ob wir mit unseren Angeboten leicht auffindbar sind. Wissen die Leute, an wen sie sich wenden können? Wie begegne ich den Menschen im Erstkontakt, wenn sie anrufen? Und drittens kommt es darauf an, Prioritäten zu setzen. Meiner Meinung nach müssen die Kasualien eine der Hauptprioritäten in unserer Kirche sein.