Spurensuche am Stelenweg

Schon 200 Jahre vor der Zeit des Nationalsozialismus gab es in Bochum jüdisches Leben. Im Rahmen des Konfirmandenunterrichts erkunden Mädchen und Jungen Orte und Spuren jüdischen Lebens. Der Stelenweg führt sie durch die Stadt

Von Fritz-Wicho Herrmann-Kümper

Stolpersteine, die an Verfolgte und Ermordete der NS-Zeit erinnern, gibt es einige in Bochum. „Sie gedenken der ermordeten Juden, die dort in den Häusern gelebt haben und weiterer Menschen, die von den Nazis verschleppt und fast immer umgebracht wurden“, berichtet Pfarrer Arno Lohmann vor 14 Konfirmanden aus den Gemeindebezirken Johannes- und Lutherkirche der evangelischen Kirchengemeinde Bochum.

Erinnern nicht nur auf das Leiden begrenzen

Dieses Erinnern ist wichtig und darf nie vergessen werden. Aber nur an das Leiden der jüdischen Mitbürger zu erinnern ist zu wenig, betont der Leiter der Evangelischen Stadtakademie. „Seht die Leute nicht nur als Opfer. Das sind sie geworden, ja! Sie haben aber auch über Jahrhunderte hier in Bochum als ganz normale Bürgerinnen und Bürger zusammengelebt und tolle Sachen gemacht – hier in Bochum, für diese Stadt“, erklärt Lohmann. Daran will der Stelenweg erinnern.
Anschließend zeigt er den Konfirmanden zwei Stationen dieses Weges „Jüdisches Leben in Bochum und Wattenscheid“, dessen Informationstafeln Mitglieder der Stadtakademie vor rund zehn Jahren entwickelten. Seit 2010 stehen die ersten der heute insgesamt sechs an besonderen Punkten in der Stadt.
Folgerichtig arbeitet der Stelenweg im öffentlichen Raum nicht allein die NS-Zeit auf, wie die Jugendlichen im Alter von 13 und 14 Jahren schnell feststellten. Etwa Stele 2, die am Standort Massenbergstraße/Ecke Schützenbahn (Innenstadt vor Balz) an die „Anfänge jüdischen Lebens in Bochum“ erinnert. So erfahren die Jugendlichen, dass Juden schon im 17. Jahrhundert in Bochum lebten. Den ersten jüdischen Friedhof gab es ab 1722 im Bereich des heutigen Uni-City-Gebäudes Bochumer Fenster unterhalb der Arndtstraße. Ihre erste Synagoge errichteten die jüdischen Mitbürger 1744/45 nahe des Stele-Standorts hinter der Schützenbahn. Die erste jüdische Schule folgte 1822 nahe bei. „Synagoge, Schule und Friedhof sind wichtige Orte für eine jüdische Gemeinde. Wir wollen mit diesen Stelen an authentischen Orten die Menschen heute dafür sensibilisieren, dass und wie jüdisches Leben schon 200 Jahre lang vor der Zeit des Nationalsozialismus zu Bochum dazugehört hat“, betont der Akademieleiter.
Am Standort Dr.-Ruer-Platz / Ecke Huestraße erinnert Stele 6 an das „Jüdische Gemeindezentrum“ und „Jüdische Kindertransporte aus Bochum“, berichtet Lohmann den Konfirmanden. „Hier stand bis zur Pogromnacht am 9. November 1938 die zweite Synagoge (ab 1863) als jüdisches Gemeindezentrum für 1200 Mitbürger“, erinnerte der 64-Jährige. Die NS-Zeit setzte diesen und vielen weiteren Aktivitäten der jüdischen Gemeinde ein Ende.

Schule wurde zum Judenhaus umfunktioniert

Die danebenstehende jüdische Schule blieb in der Pogromnacht zunächst stehen. Sie wurde zwangsweise zum „Judenhaus“ umfunktioniert für bis zu 13 Familien. Im Januar 1942 begannen für die insgesamt 517 verbliebenen Leute die Deportationen in die Vernichtungslager. Durch so genannte „Kindertransporte“ gelang manchen im Alter zwischen sechs und 17 Jahren gerade noch die Flucht nach England, so die Information auf der Stele.
„Rückkehr von Juden nach 1945“ heißt vor dem ehemaligen Amtshaus Brückstraße die dritte und letzte Station für die Konfirmanden. „Hier begann 1946 der Wiederanfang des jüdischen Gemeindelebens in der Stadt, als die Heimkehrer im Haus Nr. 33 von der Stadt einen Betsaal erhielten“, erzählt Lohmann.
Da diese 7. Stele bisher noch nicht errichtet werden konnte, nutzt der Akademieleiter eine ausrollbare Tafel als Informationsfläche. 55 Mitbürger waren es 1946, die unter schwierigsten Umständen und Anfeindungen jüdisches Leben in Bochum neu starteten.
Die Konfirmandinnen und Konfirmanden sind sichtlich beeindruckt. „Die Jugendlichen, die allein nach England geschickt wurden, waren gerade mal so alt wie wir“, stellt Madeleine (14) erstaunt fest. Carolin (13) findet die Führung spannend: „Heute habe ich die NS-Zeit und die Stadtgeschichte sehr viel lebendiger erlebt als in der Schule.“

Projektorientierte Konfirmandenarbeit

Pfarrer Volker Rottmann organisierte die Führung im Rahmen einer projektorientierten Konfirmandenarbeit. „Im Rathaus sahen wir uns bereits im Herbst 2017 die Ausstellung über Anne Frank an. Im Frühjahr waren wir in der Synagoge und erlebten das heutige Gemeindeleben. Da passt dieser Stelenweg gut, um den Blick auf die jüdische Geschichte – quasi präventiv angesichts der Ereignisse in Chemnitz – in ihrer Vielfalt und auch in ihrem Grauen wachzuhalten“, erklärt er. Veranstaltungen mit Flüchtlingen und Behinderten kamen hinzu, um auch hier den Jugendlichen unmittelbare Eindrücke in deren Lebenssituation zu geben. Nach den Reaktionen der Konfirmanden scheint das Konzept aufzugehen.