Die Theologin Ellen Ueberschär fordert von der evangelischen Kirche mehr Demut und mehr ernstgemeinten Dialog mit der Gesellschaft. Ein moralisches Wächteramt über die Politik werde nicht mehr gebraucht, aber „Klarheit und Wahrheit in Wort und Tat“, schreibt die Vorständin der Berliner Stephanus-Stiftung und frühere Generalsekretärin des Kirchentags im „Tagesspiegel“ (Mittwoch). Helfen könnte auch „ein Ausstieg aus der Binnenorientierung, auch der sprachlichen“, so Ueberschär zur Frage, wie Kirche angesichts von Skandalen und einer Rekordzahl von Austritten noch zu retten ist. Die Theologin spricht sich auch für das Hereinholen von fachlicher Expertise aus.
Die evangelische Kirche müsse sich auch selbst wieder ernst nehmen, fordert die evangelische Theologin. Wenn etwa das Kirchenparlament kurz vor der Beschlussfassung abbricht, weil ein Bahnstreik drohe, dann würden die Synodalen sich selbst nicht ernst nehmen.
„Wenn ein Kirchenapparat nicht rechtzeitig und umsichtig mit einer brisanten Information umgeht, und die Ratsvorsitzende schützt, dann nimmt Kirche ihren eigenen Aufklärungswillen nicht ernst“, kritisiert sie. Wenn weiterhin kirchenpolitische Beziehungen zum Moskauer Patriarchat gepflegt werden, obwohl dort die Stichwortgeber des Angriffskrieges gegen die Ukraine sitzen, dann nehme evangelische Kirche ihre eigenen Maßstäbe nicht ernst.
Der Berliner Bischof Christian Stäblein schreibt an gleicher Stelle, Kirche müsse aus sich „rausgehen“, hinhören und bei den Menschen sein, nicht „irgendwo anders oder gar in Wolkenkuckucksheimen“. Es brauche „klare Worte mitten in die Welt“ und „stets und ständig geöffnete Räume“. „Kirche, die um sich selbst kreist, ist nicht ganz bei Trost“, so der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Stäblein fordert zudem die „lückenlose“ Aufarbeitung von Missbrauchsfällen. „Anders kann nichts werden, nie“, so der Bischof.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge fordert dagegen das Ende der Privilegien für die Kirchen. Kirche in heutiger Form habe ausgedient, schreibt die Sprecherin des Arbeitskreises für Säkularität und Humanismus beim SPD-Parteivorstand im „Tagesspiegel“: „Weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland sind noch katholisch oder evangelisch. Tendenz sinkend. Wenn sich die Kirchen als Institutionen retten möchten, müssen sie endlich ihre Privilegien ablegen.“
Es sei nicht zu rechtfertigen, dass der Staat den Kirchen jedes Jahr ungeprüft zusätzlich zur Kirchensteuer 600 Millionen Euro zahle, Steuerprivilegien gewähre, die Kirchen bei der Besetzung von Gremien wie Ethik- oder Rundfunkräten bevorzuge und es das kirchliche Sonderarbeitsrecht gibt, kritisiert Wegge. Die Privilegien führten dazu, dass nicht-religiöse Menschen gegen ihren Willen Kirchen mitfinanzieren, überholte Rollenmodelle das Arbeitsleben einschränken und Missbrauchsskandale nicht aufgearbeitet werden: „Die Kirchen müssen lernen, nach den gleichen Regeln zu spielen, wie alle anderen. Es kann kein privilegiertes Moralmonopol in einer modernen Gesellschaft geben.“