Frauen, die in der Landwirtschaft arbeiten, sind in Deutschland nach wie vor benachteiligt. Sehr viel seltener als Männer führen sie Betriebe oder erben den elterlichen Hof, hat die Göttinger Soziologin und Ernährungswissenschaftlerin Claudia Neu mit ihrer Forschung belegt. Schon die Berufsschulen sollten sich mehr engagieren, um traditionelle Rollenmuster zu überwinden, fordert die Professorin für Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Frau Neu, wie ist die Situation von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben?
Claudia Neu: Wir haben in unserer Studie nicht nur die klassische Landwirtin in den Blick genommen. Wir haben das ganze Spektrum befragt, von Altenteilerinnen über Frauen, die auf landwirtschaftliche Betriebe eingeheiratet haben, aber außerhalb berufstätig sind, bis hin zu Angestellten auf den Höfen.
Was alle Frauen eint, ist, dass sie immer wieder sehr stark ihre Kompetenzen in einer weitgehend von Männern dominierten Agrarwelt unter Beweis stellen müssen. Egal, ob sie eine Ausbildung haben oder nicht, sie sind immer wieder damit konfrontiert, dass ihnen nicht zugetraut wird, den Traktor zu fahren oder mit schwerem Gerät zu arbeiten. Sie werden sehr häufig noch immer auf klassische Carearbeit, Haushaltstätigkeiten und Familie reduziert. Selbst Betriebsleiterinnen berichten davon.
epd: Wer führt denn überhaupt die Betriebe?
Neu: Immer noch werden fast wie selbstverständlich Höfe an den ältesten Sohn vererbt, obwohl diese Praxis bereits seit Ende der 1940er-Jahre gar nicht mehr rechtens ist. In etlichen Interviews haben uns Frauen, gerade auch aus Niedersachsen, davon erzählt. Das macht deutlich, wie lang der Schatten der Vorstellung ist, dass Landwirtschaft eine Männerangelegenheit ist.
Wir haben in Deutschland eine auch im europaweiten Vergleich sehr geringe Zahl an Betriebsleiterinnen. Nur 11 Prozent aller Agrarbetriebe werden von Frauen geführt, das heißt Männer sind immer noch in 89 Prozent an der Spitze der Höfe. Bei den designierten Hoferbinnen und -erben liegt der Anteil von Frauen bei 18 Prozent, auch in den nächsten Generationen bleibt also ein klares Ungleichgewicht. Übrigens, fast alle Frauen, die einen Betrieb geerbt haben, kamen in unserer Studie von Töchterbetrieben – sie hatten also keinen Bruder.
epd: Der Anteil an Landbesitz gilt weltweit auch als Maßstab einer Geschlechtergerechtigkeit von Männern und Frauen, wie ist es darum bestellt?
Neu: Land ist ein knappes Gut auch angesichts des Bedarfs an Bauland und des Klimawandels. Es ist sehr schwierig, einen landwirtschaftlichen Betrieb neu zu gründen und an Flächen zu kommen. Und die Hürden dabei sind für Frauen deutlich höher als für Männer. Es gibt in Deutschland keine statistische Erhebung über die Verteilung von Grundeigentum in der Agrarwirtschaft. Diese wäre aber wichtig, um die Gerechtigkeitslücke sichtbar zu machen.
epd: Ist ein Familienbetrieb nicht auch gemeinschaftliches Eigentum von Mann und Frau?
Neu: Wir wissen aus der Studie, dass Frauen häufig glauben, dass das so ist. In den Grundbüchern und anderen Papieren steht oft etwas anderes. Solange die Ehe gut geht, ist das auch kein Problem. Wenn aber eine Ehe auseinandergeht, kann die Situation für die Frauen bitter werden. Sie sind teilweise Verträge eingegangen, über die Pflege von Altenteilern, oder haben große Kredite mit unterschrieben. Sie haften also auch für die Schulden.
epd: Wie ließe sich das ändern?
Neu: Das ist ein sehr dickes Brett. Bei der Frage nach den Besitzverhältnissen geht es bei Paaren oft ums Eingemachte. Niemand hindert einen daran, einen Ehevertrag zu machen, der die Bedürfnisse der Frauen und ihre Arbeit einrechnet. Die Arbeitskraft von Frauen wird auf den landwirtschaftlichen Betrieben gebraucht, egal ob sie im Betrieb selbst mitarbeiten oder außerhalb. Sie wird aber oft nicht entsprechend vergütet. Warum sollten Paare aber nicht ein entsprechendes Gehalt für die Mitarbeit der Partnerin vereinbaren?
Tatsächlich haben jedoch nicht einmal alle ein Testament. Diese Fragen berühren auch Machtverhältnisse in Beziehungen. Das zur Sprache zu bringen, ist nicht einfach, könnte aber dazu beitragen, etwas zu verändern.
epd: Sie haben in ihrer Studie nicht nur Fragebögen ausgewertet, sondern mit vielen Frauen gesprochen. Was brennt ihnen auf den Nägeln?
Neu: Die überwiegende Zahl der Frauen liebt das Leben auf dem Land. Die Natur, die Arbeit mit den Tieren, die Möglichkeiten, Familie und Beruf miteinander zu verbinden, all das ist ihnen wichtig.
Sehr überrascht hat uns, dass viele Frauen Ängste um ihre Gesundheit haben. Sorge bereiten ihnen Erkrankungen oder dass sie nach einer Entbindung zu wenig Ruhe haben. Rund 25 Prozent der gut 7.000 in einer Online-Erhebung Befragten würden nach einem internationalen Index als von Burnout gefährdet gelten. Viele Frauen leiden unter Rollenüberlastung. Sie reiben sich zwischen den unterschiedlichen Rollen auf – Mutter, Berufstätige, Ehefrau, Pflegende, Springerin, Taxifahrerin, Ehrenamtliche und so weiter.
epd: Greifen denn Unterstützungssysteme wie etwa Dorfhelferinnen, die auf den Betrieben bei Krankheiten einspringen?
Neu: Ja, das hilft, aber viele Frauen wünschen sich da eine Ausweitung. Sie haben uns auch darauf aufmerksam gemacht, dass es gut wäre, wenn schon die Berufsschulen Themen wie Arbeitsschutz, Belastung in der Schwangerschaft oder Gefahren durch von Tieren übertragbare Zoonosen thematisieren würden – nicht nur für Frauen, sondern generell.
epd: Müssen auch traditionelle Denkmuster überwunden werden?
Neu: Die Landwirtschaft ist ein sehr traditioneller Bereich. Traditionen können aber auch neue Entwicklungen blockieren. Die Tradition könnte sich auch dahingehend verändern, dass die Töchter im selben Maße ermuntert werden, den Betrieb zu übernehmen wie Söhne. Auch hier ist Bildungsarbeit gefragt. Es nimmt der Landwirtschaft nichts, wenn sie das Thema Geschlechtergerechtigkeit angeht. Und das tun ja auch einige Familien.
epd: Sie schlagen vor, Verbände sollten sich engagieren. Was tragen zum Beispiel die Landfrauen bei?
Neu: Die Landfrauen waren Initiatorinnen dieser Studie. Sie haben in den vergangenen 20 Jahren sehr darum gekämpft, Daten zur Lebens- und Arbeitssituation von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben zu erhalten.
epd: Sehen Sie politischen Handlungsbedarf?
Neu: Die Agrarstatistik müsste dringend aufgefrischt werden, damit wir nicht noch einmal 20 Jahre warten müssen, um zu wissen, wie es den Frauen auf dem Land so geht. In den Berufsschulen und der Erwachsenenbildung müssten deutlicher Themen behandelt werden, wie Gesundheit, Prävention oder Arbeitsschutz. Aber auch die Themen Geschlechtergerechtigkeit und sexualisierte Gewalt müssten angesprochen werden.
Die Sozialverbände bieten bereits viele Beratungen an zu Themen wie der Versorgung oder dem Testament. Das könnte noch stärker von den Frauen angenommen werden. Es ist kein unabwendbares Schicksal, wenn Frauen nach einer Scheidung nur mit dem Köfferchen vom Hof gehen.