Soziologe Rosa: Kirche und Demokratie haben eine ähnliche Krise

Politikverdrossenheit und Kirchenflucht haben dem Soziologen Rosa zufolge ganz ähnliche Wurzeln: das Gefühl, nicht mehr gehört zu werden und nicht mitgestalten zu können. Als Lösung hat er eine religiöse Idee in petto.

Kirche und Demokratie stecken nach Ansicht des Soziologen Hartmut Rosa in einer ähnlichen Krise. „Ihre Praktiken werden als entfremdet wahrgenommen. Die Menschen haben den Eindruck, dass sie davon nicht mehr angesprochen und berührt werden, dass ihre Stimme nicht mehr gehört wird und sie nicht mitgestalten können“, sagte er am Mittwochabend in Dresden beim Jahresempfang des Katholischen Büros Sachsen.

Zugleich skizzierte Rosa als ein gesellschaftliches Grundproblem: „Jeder will zwar eine Stimme haben, aber nicht jeder will auch Ohren haben – die es aber braucht für den Dialog, für das Wechselspiel, in dem ich mich vom anderen berühren und verwandeln lasse.“ Das sei letztlich eine religiöse Idee, die Idee vom „hörenden Herzen“ als Grundhaltung, um Politikverdrossenheit entgegenzuwirken: „Ich bin überzeugt, eine Demokratie braucht Institutionen, in der man die Erfahrung machen kann, berührt und verwandelt zu werden.“ Auch in Diskussionen könne durch solche Erfahrungen etwas Neues entstehen, und Menschen könnten neu miteinander ins Gespräch kommen.

„In der Gesellschaft ist derzeit ein antagonistisches Verständnis von Politik weit verbreitet: Politik als Kampfarena“, erklärte der in Jena lehrende Professor für Soziologie und bezeichnete es als problematischen „Aggressionsmodus“. Seines Erachtens sei Politik vielmehr eine gemeinsame Gestaltung des Gemeinwesens, der Ordnung und Strukturen, in denen Menschen leben und arbeiten. „In der Idee der Demokratie ist ein Verheißungs-Versprechen drin – dass ich eine Stimme haben kann und wir die Ordnung gemeinsam gestalten können.“ Auch da gebe es eine Paralle zur Religion.

Auch Dresdens Bischof Heinrich Timmerevers rief dazu auf, in Kirche und Gesellschaft wieder stärker ein Beieinanderbleiben anzustreben: „Ich bin fest überzeugt, dass uns Menschen immer mehr verbindet, als uns trennt.“

Im Freistaat leben knapp 145.000 Katholiken. Der Großteil Sachsens gehört zum Gebiet des Bistums Dresden-Meißen, weitere Teile zum Bistum Görlitz und zum Bistum Magdeburg.