Soziologe Rosa fordert von Regierung positive Zukunftsvision

Es herrscht Krisenstimmung. Die Menschen sind angesichts sich überlappender Großprobleme überfordert. Um so wichtiger wäre eine positive Zukunftsvision, sagt Soziologe Hartmut Rosa.

Der Soziologe Hartmut Rosa fordert von der Politik eine positive Vision für die Zukunft der Gesellschaft. “In der politischen Bildersprache ist die Zukunft heute ein einziger Abwehrkampf auf einer abschüssigen Bahn nach unten. Gegen die Russen. Gegen den Klimawandel. Gegen den wirtschaftlichen Niedergang. Gegen die AfD. Gegen die Migration. Das sorgt für Hoffnungslosigkeit und Wut”, sagte der Direktor des Max-Weber-Kollegs der Universität Erfurt im Interview von tagesschau.de (Donnerstag).

Rosa verwies auf jüngste Wahlergebnisse ebenso wie Erhebungen zum mentalen Gesundheitszustand, zu Erschöpfung und Einsamkeitsgefühlen. Die Werte hätten sich alle verschlechtert. “Unsere Wahrnehmung, ob wir in guten oder schlechten Zeiten leben, hängt weniger davon ab, was wir haben, sondern eben davon, worauf wir uns zubewegen”, sagte der Soziologe zur Begründung. Und da gebe es derzeit die Wahrnehmung einer Bewegung auf eine einzige dunkle Wand aus Kriegen, Seuchen und Klimakatastrophen zu. “Es bedarf einer Vision, wie es in der Zukunft auch wieder besser werden kann, wie wir am Traum oder Ziel einer friedlicheren Welt arbeiten können, sei es auch noch so schwer.”

Als Beispiel verwies der Wissenschaftler auf die militärische Zeitenwende und die Forderung von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), die Nato müsse sich auf einen Krieg mit Russland vorbereiten. “Die Politik muss die Aufgabe der Steigerung von Verteidigungsanstrengungen anders einbetten”, sagte er. “Es braucht eine Geschichte mit Zukunftshorizont.” So könne die Regierung durchaus sagen, dass man eine stärkere Bundeswehr und ein allgemeines Dienstjahr brauche, um die Gesellschaft widerstandsfähiger zu machen. “Aber langfristig muss sie eine neue Friedensordnung schaffen wollen. Wenn man der Bevölkerung nur sagt, die Zukunft wird Rüstung und Krieg sein, dann kann das nicht klappen.”

Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) würde für seine Ambitionen als Friedenskanzler viel mehr Akzeptanz finden, wenn er erkennen ließe, dass er am Ziel einer gesamteuropäischen und sogar globalen Sicherheitsarchitektur allen derzeitigen Schwierigkeiten und Rückschlägen zum Trotz festhalte, zeigte sich Rosa überzeugt. Die globalisierte Welt brauche kollektive Lösungen – gegen die ökologische Krise, gegen Krankheiten wie Covid-19, gegen globale Ungleichheit. “Wer sich derart stark auf seine Kriegstüchtigkeit konzentriert, kann andere Krisen nicht lösen. Mit dem Zurückschrauben der Klimaziele und einem möglichen Aussetzen des Lieferkettengesetzes erleben wir bereits Rückschritte an anderen Fronten.”