Sozialpsychologe: Das kann jeder Einzelne gegen Vorurteile tun
Krisen und Konkurrenzsituationen machen anfällig für Fremdenfeindlichkeit. Vor dieser Dynamik warnt ein Sozialpsychologe. Gegensteuern könne nicht allein die Politik.
Gegen Stereotype hilft nach Worten eines Sozialpsychologen nur aktives Gegenhalten – und zwar von jeder und jedem Einzelnen. Bestimmte Klischees und Vorurteile seien allen bekannt, sagte Ulrich Wagner der Zeitschrift „Psychologie Heute“ (Mai-Ausgabe). „Aber: Diejenigen unter uns, die wenig Vorurteile haben, unterdrücken das Aufkommen solcher Stereotype aktiv und versuchen, sie nicht zur Grundlage eigener Urteile zu machen.“
Emotionen wie Ärger könnten dem im Wege stehen. Als Beispiel nannte Wagner eine Situation, in der sich eine Person mit dunklerer Haut an der Kasse vordrängle. „Dann fallen wir vielleicht doch auf fremdenfeindliche Stereotype zurück, nach dem Motto: ‚Die sind ja so‘.“ In so einem Moment fehle die Kapazität für die kognitive Anstrengung des Gegenhaltens.
In Gruppen zu denken, erleichtere es Menschen grundsätzlich, sich selbst zu definieren. Hierzulande gebe es jedoch eine höhere Bereitschaft, „abfällig über andere zu reden und ihnen so zu begegnen“, sagte der Experte. „Das hat vermutlich etwas damit zu tun, dass wir in der westlichen Gesellschaft mehr auf Konkurrenz ausgerichtet sind.“
Zudem würden Stereotype konstruiert, um soziale Ungerechtigkeiten zu rechtfertigen. Das zeige sich heute im Umgang mit geflüchteten Menschen, erklärte Wagner. „Die brutale Abwehr von Menschen an den europäischen Außengrenzen wird damit gerechtfertigt, es handele sich bei ihnen doch in Wahrheit um Wirtschaftsflüchtlinge, die nur in die deutschen Sozialsysteme einwandern und sich die Zähne machen lassen wollen.“
Eine große Rolle spiele, wie groß die „wahrgenommenen Unterschiede“ zu bestimmten Gruppen seien, sagte der Wissenschaftler. So seien Italiener in den 1960er Jahren eine angefeindete Gastarbeitergruppe gewesen, würden heute aber längst als Teil der „Ingroup“ wahrgenommen. Oft gehe es um Konkurrenz – heute etwa um unterschiedliche Werte oder auch Konflikte um Wohnraum. „Wenn es gelingen könnte, diese Konkurrenzsituation einigermaßen in den Griff zu bekommen, würde auch die Fremdenfeindlichkeit wieder sinken“.