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So verändern digitale Medien Kindheit und Familienalltag

Schon Kleinkinder kommen mit YouTube, Tiktok und Co. in Kontakt. Medienexpertin Maya Götz fordert deshalb ein Social-Media-Verbot für unter 13-jährige – und nimmt Schulen und Vereine in die Verantwortung.

Tablets statt Teddybären und Smartphones als moderne Schnuller: Während frühere Generationen Bauklötze stapelten und in Bilderbüchern blätterten, swipen sich heutige Kinder per Fingerwisch durch Bilder, Videos und Spiele-Apps. “Sie wachsen ganz selbstverständlich in einer mediendominierten Welt auf”, sagt Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) beim Bayerischen Rundfunk und Geschäftsführerin der Stiftung Prix Jeunesse.

Schon sehr junge Kinder kommen mit der digitalen Welt in Kontakt: Wenn Eltern lange in Smartphone oder Laptop vertieft sind und dadurch körperlich präsent, aber emotional nicht erreichbar wirken, kann dies laut Studien bei Babys Stress oder Ängste auslösen. Bei Ein- bis Zweijährigen steige zudem die Unfallgefahr, da sie versuchen würden, die Aufmerksamkeit der Erwachsenen mit riskanten Aktionen zu erzwingen, erklärt die Wissenschaftlerin.

Erstmals zum Einsatz käme das Smartphone bei Kindern oft, weil Eltern es als Möglichkeit entdeckten, den Alltag stressfreier zu gestalten – beispielsweise, um die Kinder im Restaurant zu beschäftigen. “Angesichts des turbulenten Familienlebens ist das völlig verständlich”, sagt Götz. “Allerdings muss man sich bewusst sein: Hat sich das Smartphone erst einmal etabliert, verlangen die Kinder auch beim nächsten Mal danach.”

Die erste Lektion im Umgang mit digitalen Medien laute deshalb: ausschalten lernen. Ab etwa drei Jahren, wenn Jungen und Mädchen sich nicht mehr nur von bunten Bildern fesseln lassen, sondern auch eine Faszination für die Geschichten dahinter entwickeln, sei dies der erste, wichtige Baustein der Medienerziehung. Entscheidend sei dabei die konsequente Einhaltung von Regeln. “Eine Folge der Lieblingsserie heißt auch eine Folge”, empfiehlt Götz.

Spätestens mit acht Jahren sollten Kinder – so ein weiterer Rat – in der Lage sein, die Inhalte gezielt auszuwählen und das Smartphone nach einer vereinbarten Zeit ohne Diskussionen wegzulegen. Auch sei es wichtig, dass sie wahrnehmen könnten, welche Bilder bei ihnen angenehme Gefühle hervorrufen und was sie ängstige, so Götz.

Die Expertin mahnt zudem zur Achtsamkeit beim Hochladen von Kinderfotos. “Die junge Generation ist die am meisten fotografierte”, stellt sie fest. Zwar posierten Kinder oft gerne, später aber schämten sich viele für die Videos, die von ihnen im Netz unterwegs seien. “Die Kinder verlieren ihr Recht am Bild”, kritisiert die Wissenschaftlerin.

Auch viele Jugendliche würden selbst eifrig Bilder von sich posten. “Sie wissen, wie sie ihr Aussehen mit Filtern korrigieren können”, sagt Götz. Doch der Druck unrealistischer Schönheitsideale sei, besonders auf Mädchen, enorm. “Oft vergleichen sie sich mit Influencerinnen und machen 20 bis 50 Fotos, bis eines passt.” Das fördere Selbstzweifel und erhöhe das Risiko für Depressionen oder Essstörungen. Hasskommentare, Cybermobbing und Body-Shaming seien zudem weit verbreitet, sagt die Expertin. Im Teenageralter würden diese Themen kaum mehr mit den Eltern besprochen.

Suchtverhalten, Depressionen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen – wenn Kinder die digitalen Medien zu viel oder ungeeignete Inhalte konsumieren, können sie unterschiedlichste psychische Schäden davontragen. Dies, so Götz, sei durch Studien ausreichend belegt. Hinzu komme, dass extremistische Gruppierungen via Social Media junge Menschen anwerben würden, ohne dass diese eine realistische Chance hätten, deren Tricks zu durchschauen. Deshalb fordert die Expertin ein Social-Media-Verbot für Kinder unter 13 Jahren.

Zugleich müsse die Medienbildung in Schulen deutlich ausgebaut werden – nicht nur technisch, sondern vor allem durch Gespräche über Wirkung und Verantwortung: Wie fühle ich mich beim Ansehen bestimmter Bilder? Wie könnte dieser Kommentar auf andere wirken? Welche Regeln braucht respektvolle Kommunikation im Netz?

In der Pflicht sieht die Expertin auch Jugendgruppen oder kirchliche Verbände. Sie sollten als Gegengewicht zu Smartphone und Co. das persönliche Gespräch fördern. Dazu müssten vermehrt Gruppen für künstlerisch oder handwerklich Interessierte angeboten werden. Denn Studien belegen: Die liebste Freizeitbeschäftigung von rund 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen ist es nach wie vor, sich mit Freunden zu treffen. Nicht digital, sondern im ganz realen Leben.