Liedermacher Siegfried Fietz: Wunderbar geborgen

Siegfried Fietz ist ein musikalischer Brückenbauer. Neu erschienen ist in Zusammenarbeit mit Helwig Wegner-Nord ein Musical über August Hermann Francke.

Siegfried Fietz tritt nach wie vor auf
Siegfried Fietz tritt nach wie vor aufepd-bild / Norbert Neetz

Hausbesuch im Ulmtal. Draußen ein „Herzlich willkommen!“ von Barbara Fietz, dann sind es ein paar Schritte nur hinüber zum Künstlerhäuschen ihres Mannes. Auch Siegfried Fietz ist ganz Auge, ganz Ohr, ganz Herz für den Gast. Die Probe darf für einen Moment warten, die Gefährten warten auch. Ein Glas Wasser, ein paar Worte, dann geht es zurück zu Tasten und Saiten.

Ansatzlos ist der Musiker wieder im Thema, ist mittendrin in seiner Arbeit und singt von dem, was sein Credo ist: groß denken, aufrecht gehen, Liebe schenken, vor Gott verneigen. „Die Welt verändern“, der Titelsong des gleichnamigen Musicals über den Theologen und Sozialreformer August Hermann Francke (1663-1727), nimmt auch das kleine Publikum im Raum gleich mit. Denn der Refrain ist einer dieser Fietz-typischen Chorusse, die sich einnisten in Körper, Geist und Seele und mindestens mitgesummt werden wollen.

Die Familie ist sein „Fietz-Team“

Vorbereitet wird an diesem Sommertag in Greifenstein-Allendorf ein Programm, das wochenends in der großväterlichen Heimat Franckes, auf dem „Frank’schen Gut“ im hessischen Wanfried-Heldra, gegeben werden soll: eine konzertante Fassung des Musicals – mit Texter Helwig Wegner-Nord in der Rolle der historischen Figur. Musikalisch mit von der Partie sind Oliver Fietz und Sandra Fietz-Oberbeck, zwei der drei Kinder von Barbara und Siegfried Fietz. Gut so, finden „Olli“ und „Sanni“; gut so, findet der Vater.

Die Familie ist seit Jahren schon sein „Fietz-Team“. Ein Segen, dass sie allesamt miteinander können, dass ihre Gemeinschaft trägt. „Ohne Barbara wäre all das nicht so geworden“, sagt Siegfried Fietz (77). Die Ehefrau lächelt. Ja, sagt sie, leicht sei es nicht immer gewesen, Familien- und Künstlerleben beieinander zu halten. „Vor allem, als die Kinder klein waren und manchmal hintanstehen mussten.“ Inzwischen geht die nächste Generation in Teilen längst voran. Mit neuen Medien, anderen Formen, eigenen Kindern. Dabei können, sollen und dürfen Oliver, Sandra und Florian Fietz auf Verbindungen setzen, die in Jahrzehnten entstanden sind. Siegfried Fietz will auch hier ein Brückenbauer sein.

„Von guten Mächten wunderbar geborgen“ – immer noch Gänsehaut

Der Musiker wird nicht müde zu staunen über das, was geworden ist. Vor allem, natürlich, mit dem einen großen Lied, das um die Welt gegangen ist: „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, wieder und wieder gesungen und ebenso tröstlich wie aufwühlend. 1972 hat Siegfried Fietz diesen dichten Text des am 9. April 1945 von den Nazis ermordeten Dietrich Bonhoeffer vertont. Und bekommt mitunter immer noch Gänsehaut, wenn ihm dieser Song begegnet.

Etwa im Video, das ihm ein Freund von einem Konzert aus Kloster Münsterschwarzach geschickt hat. „Oliver, zeig doch mal“, sagt Fietz und ist entzückt über die Performance des taiwanesischen Kinderchors, der das „Gott ist mit uns am Abend und am Morgen“ auch auf Deutsch so wunderbar hinbekommt. Als er im vorigen Jahr mit Sohn Oliver einer Einladung der Weltweiten Evangelischen Allianz zu einer Reise nach Israel gefolgt ist und ihm Touristen aus Südkorea nach dem unverhofften Erkennen mit diesem Lied mitten in der Jerusalemer Altstadt ein Ständchen bringen, ist die Freude auf beiden Seiten groß.

Empfang beim israelischen Staatspräsidenten Jitzchak Herzog

„Von guten Mächten“ brachten Siegfried und Oliver Fietz auch dorthin, wo Worte fehlen: nach Yad Vashem, an den Ort des Holocaust-Gedenkens überhaupt. Sie sangen auf Hebräisch, auf Englisch und auf Deutsch und setzten mit der Macht der Musik all denen etwas entgegen, die das „Nie wieder“ tottrampeln möchten. Dass bei dieser Reise auch ein Empfang beim israelischen Staatspräsidenten Jitzchak Herzog auf der Agenda stand, sei einer der Höhepunkte in seinem Leben, so Siegfried Fietz. „Das ist auch ein kleiner Lohn für das, was wir so eingebracht haben.“ Und einbringen.

Das Ehepaar Barbara und Siegfried Fietz
Das Ehepaar Barbara und Siegfried FietzClaudia Irle-Utsch

Denn Fietz ist längst nicht fertig. Hat weitere Projekte im Sinn, wird angefragt und überrascht. Wie von jenem Künstler aus Amerika, der plötzlich vor der Tür stand, um ihn kennenzulernen – und seinen Skulpturenpark, der inzwischen so viele Besucher ins Ulmtal bringt.

Skulpturen erzählen von Not und Rettung, vom Glück

Dort erzählen Skulpturen aus Holz, Metall und Stein vom Danken und Denken, von Not und Rettung, vom Glück, das immer etwas Göttliches in sich trägt. Mit diesem Park, öffentlich zugänglich und mit einer großen Bühne ausgestattet, möchte Siegfried Fietz den Menschen im Tal und anderen auch etwas zurückgeben, etwas schenken, was ihnen gut tut. Sind Gruppen zu Gast, gibt es eine Künstlerführung im Paket mit ein wenig Musik. Drei, vier Lieder zur Gitarre, sagt Fietz und deutet ein vergnügtes Achselzucken an. „Tja, so sieht das aus …“ Die kleine Apfelplantage am Rande des Parks bewirtschaftet Tochter Sandra. Ökologisch, nachhaltig, mit grüner Energie.

Siegfried Fietz und Helwig Wegner-Nord erzählen in ihrem neuen gemeinsamen Projekt die Geschichte von August Hermann Francke nach
Siegfried Fietz und Helwig Wegner-Nord erzählen in ihrem neuen gemeinsamen Projekt die Geschichte von August Hermann Francke nachClaudia Irle-Utsch

„Think big“ heißt es in einem Refrain des Francke-Musicals. Es könnte ein Motto für das Fietz’sche Schaffen sein. Das Grundmotiv aber ist ein anderes: von der Liebe singen, vom Kreuz nicht schweigen. Auf immer wieder andere Weise hat Siegfried Fietz dieses Thema bearbeitet. Hat Unrecht benannt, Gerechtigkeit eingefordert, Barmherzigkeit auch, hat Wege zum Frieden gesucht und gefunden. Dabei konnte und kann er auf ausgezeichnete Texter setzen (wie Johannes Jourdan, Jörg Zink, Ulrich Schaffer oder jetzt Helwig Wegner-Nord) und schöpfen aus dem inspirierenden Handeln von Persönlichkeiten wie Martin Luther King oder wie dem US-Astronauten James B. Irwin. Den Raumanzug aus den „Space-Sinfonie“-Zeiten übrigens hat Fietz noch im Schrank.

Bei allen Höhenflügen ist der Musiker seinen Wurzeln treu geblieben. Geboren 1946 in Bad Berleburg, wuchs er in Hilchenbach auf, im nördlichen Siegerland. Dort hielt sich die Familie („meine Eltern kamen aus Ostpreußen“) zur Freien evangelischen Gemeinde. Weshalb es für den Sohn enorm schwer war, dort zu musizieren, wo er zuallererst musizieren wollte: im kirchlichen Posaunenchor. „Der gehört net zu uns“ – die erste Abweisung schmerzte und forderte zugleich heraus. Denn am Ende überzeugte der junge Fietz doch. Mit seinem Können. Eine Tür öffnete sich: „Ich bekam ein Flügelhorn!“ Alles Weitere? Ist Geschichte. Und Zukunft auch.