Senegal: Mit kleinen Schritten Richtung Systemwandel

Es war eine kleine Revolution, als Bassirou Diomaye Faye Ende März die Präsidentschaftswahl im Senegal gewann. Rund 100 Tage nach dem Amtsantritt am 2. April ist etwas Realpolitik eingekehrt. Aber die Richtung aus dem Wahlkampf bleibt: gegen Korruption, für soziale Gerechtigkeit – und mehr Unabhängigkeit von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich.

Nach seiner Amtsübernahme stellte der 44-jährige Faye eine Regierung aus Expertinnen und Experten zusammen. Von den 21 Ministern und 4 Ministerinnen waren nur wenige vorher hauptberuflich in der Politik.

Dabei war bis kurz vor der Wahl nicht einmal klar, ob sie überhaupt stattfindet. Der frühere Präsident Macky Sall hatte den für Februar angesetzten Urnengang zunächst abgesagt und damit breite Proteste in dem westafrikanischen Land ausgelöst. Zum Umdenken bewegte ihn erst eine Entscheidung des Verfassungsrates. Fayes Regierung führe den Senegal nun aus einer politischen Krise in eine resiliente Demokratie, argumentiert der Analyst Babacar Ndiaye von der westafrikanischen Denkfabrik Wathi.

Bei den Demonstrationen brachte die Bevölkerung auch ihren Unmut über die wirtschaftliche Lage im Land zum Ausdruck. Es herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter den jungen Menschen. Tausende von ihnen verlassen jedes Jahr das Land über die lebensgefährliche Atlantik-Route, um in Europa eine bessere Zukunft zu suchen.

Frust bringt auch das Gefühl, dass das Land bis heute von Frankreich abhängig ist. Mehr als 250 französische Firmen im Land zahlen insgesamt ein Viertel der Gehälter im Privatsektor, die Reserven der gemeinsamen westafrikanischen Währung CFA liegen bis heute zum Teil in Paris. Frankreich hat Truppen im Senegal stationiert.

Faye war mit dem Versprechen angetreten, eine neue politische Ära einzuläuten. Jetzt arbeitet er daran, den Senegal weniger abhängig von Nahrungsmittelimporten zu machen. Das Budget für die Subventionierung von Saatgut und Düngemittel wurde um 20 Prozent erhöht. Die Regierung hatte im Juni außerdem eine Obergrenze für die Preise für Brot und Speiseöl festgelegt – eine große Erleichterung für viele Menschen. Auch der Kampf gegen Korruption steht weit oben auf der Tagesordnung: Eine neu berufene Kommission untersucht die Korruption im Justizsystem und soll Reformen anstoßen.

Fest an Fayes Seite steht Premierminister Ousmane Sonko, der 2014 die Partei „Afrikanische Patrioten Senegals für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit“ (Pastef) gegründet hatte. Die beiden ehemaligen Steuerbeamten kennen sich seit ihrer gemeinsamen Zeit an der Elite-Verwaltungshochschule in der Hauptstadt Dakar. Wie Faye saß Sonko bis kurz vor der Wahl im Gefängnis. Menschenrechtler werfen dem ehemaligen Präsidenten politisch motivierte Verfahren gegen die Opposition vor.

Alle bisherigen offiziellen Staatsbesuche hat Faye auf dem afrikanischen Kontinent absolviert – früher ging der Antrittsbesuch immer nach Frankreich. Nach Paris flog Faye nun erst im Juni, um an einem Gipfel der Impfallianz Gavi teilzunehmen, traf dort aber auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Sonko hat seine Rolle als Oppositionsführer auch als Regierungschef nicht ganz abgelegt. Gemeinsam mit dem linken französischen Politiker Jean-Luc Mélenchon veranstaltete er eine Vorlesung in Dakar, in der beide den Einfluss Frankreichs in den ehemaligen Kolonien kritisierten. Sonko machte zudem Macron mitverantwortlich für Menschenrechtsverletzungen des früheren Präsidenten Sall.

Die Weggefährten Sonko und Faye sind laut dem Politikwissenschaftlicher Bruno Sonko (nicht verwandt) ein Duo, das bisher gut funktioniert. Der ruhige Faye und der aufbrausende Sonko ergänzten sich, sagt der Mitarbeiter der Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Presse arbeite sich an Sonko ab, der manchmal zu vergessen scheine, dass er nicht mehr Oppositionsführer sei. Faye werde in Ruhe gelassen und könne sich auf seine Reformen konzentrieren.

Die Bevölkerung erwartet vor allem, dass Perspektiven für die Jugend geschaffen werden. Um zu sehen, ob die neue Regierung wirklich in Richtung eines versprochenen Systemwandels arbeitet, müsse man ihr mehr Zeit geben, sagt der Politikwissenschaftler Sonko. Bisher sehe es aber so aus.