Senegal: Freiluftmuseum im Armenviertel

Der Künstler Mamadou Ndiaye, genannt „Thia“, ist gerade sehr beschäftigt, hat er doch gleich drei Ausstellungen während der 15. Kunstbiennale in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Auf der Insel Gorea, von wo aus einst die Sklavenschiffe über den Atlantik starteten, zeigt er Gemälde und Skulpturen und im Nationaltheater von Dakar hängen seine Gemälde in zwei Schauen. Am meisten am Herzen liegt dem 62-Jährigen aber ein anderes Vorhaben: „Dieses Projekt soll aus bestimmten Ghetto-Vierteln im Zentrum eine Freiluftgalerie oder ein Open-Air-Museum machen“, erklärt er.

Die 15. Biennale zeitgenössischer afrikanischer Kunst Dak’art trägt den Titel „The Wake“ – „Das Erwachen“ – und dauert noch bis zum 7. Dezember. In der internationalen Ausstellung im ehemaligen Justizpalast, einem Gebäude aus der Kolonialzeit, zeigen 58 Künstler und Künstlerinnen ihre Werke. Darüber hinaus finden mehr als 500 andere Kulturevents statt, mit einheimischen und ausländischen Künstlern. Kreative wie der Senegalese Thia zeigen, wie vielseitig und lebendig zeitgenössische Kunst in Afrika ist, ob in Design, Skulptur, Textilien, Malerei, Streetart oder Media-Installationen.

Thia wohnt im Plateau-Viertel im Zentrum Dakars. In den engen Straßen drängeln sich Autos und Fußgänger. Gelbe Taxen hupen, Menschen arbeiten auf dem Bürgersteig, verkaufen Kaffee, Nüsse und andere Waren, die sie auf dem Kopf tragen. Auf einer Baustelle wird gehämmert und geklopft.

Neben einer Moschee in der Avenue Pompidou liegt der Eingang zu einem Labyrinth aus engen Gassen mit kleinen Häusern, die im krassen Kontrast stehen zu den modernen Hochhäusern und zu den Kolonialbauten, zum Präsidentenpalast, der Kathedrale, den Galerien und Museen im übrigen Plateau-Viertel. „Sein Ghetto“ nennt der Künstler diese Gegend: „das versteckte Gesicht von Dakar“.

In den staubigen Gassen arbeiten Schneider und Tischler, Mechaniker reparieren Mopeds und Informatiker Handys. Es gibt auch winzige Restaurants, bestehend aus jeweils einem Tisch und zwei Stühlen. Im Innenhof von Thias Familienhaus brutzelt auf einer Feuerstelle das Essen, eine Nichte seiner Frau schnippelt Gemüse, man hört Hammel blöken. Im Hof hängt Wäsche zum Trocknen, eine Frau kocht Couscous.

Thia ist der einzige Künstler in dieser Gegend. Er möchte mit seiner Kunst auch die Menschen erreichen, die nicht in Museen gehen, wie er sagt. Am Eingang des Labyrinths verweist ein Graffiti auf den „Künstler und seine Umgebung“, davor steht ein Wäscheständer mit ein paar T-Shirts: Kunst im Alltag. Malereien von Künstlerinnen aus Italien und Russland, mit denen Thia auf der Biennale gearbeitet hat, zieren die Wände der Mauern, seine eigenen bis zu drei Meter hohen Skulpturen stehen auf winzigen Plätzen: Das ist das Open-Air-Museum, das der 62-Jährige während der Biennale eröffnet hat: „Die Ausstellungen gehören zu einem Ensemble von Events unter dem Titel ‘Dakar verschönern’“, erklärt er.

Der Mann mit der großen Baskenmütze, in die die Rastazöpfe passen, und dem blauen Umhang aus afrikanischem Bogolanstoff ist ein Hüne, aber seine Monumentalstatuen überragen ihn beträchtlich: „Mein hauptsächliches Thema ist der Kampf“, erklärt er. Der Mensch kämpfe vom Mutterbauch an, sagt der Senegalese. Seine Frauenstatue hat Löcher im schwangeren Bauch, im Innern ist ein Baby zu sehen. Das Kind kämpfe, um unbeschadet aus dem Bauch der Mutter herauszukommen: „Es wird kämpfen, um auf dem Boden zu robben, um zu gehen, zur Schule zu gehen und Diplome zu machen.“

Er thematisiert außerdem den Kampf innerhalb der Heilkunst mit einem Mann, der ein Testgerät und ein Horn trägt. Mit beiden könne er Krankheiten diagnostizieren: „Das eine steht für die traditionelle, das andere für die moderne Medizin.“ Auch Schriftsteller kämpften mit ihrer Feder.

Neben den Statuen sitzen Männer auf dem winzigen Platz im Schatten. Thia gibt jedem die Hand, wie es die senegalesische Sitte will. Grüßend führt er durch die engen staubigen Gassen zu seinem Atelier. Auf rund 20 Quadratmetern stehen Skulpturen, Masken und Gemälde. Thia bedient sich vieler verschiedener Kunstformen. „Thiadismus“ nennt er sein Material, das aus fünf Elementen besteht, von denen er nicht alle verrät: Klebstoff, Gips und Jutefäden gehören auf jeden Fall dazu.

Die Biennale von Dakar gibt es seit 30 Jahren. Für ihn schließt sich mir ihr ein Kreis. Ein erstes „Dorf der Künste“ stand nach der Unabhängigkeit des Landes 1962 neben dem ehemaligen Justizpalast, in dem heute die internationale Ausstellung der Biennale stattfindet. „Wir spielten neben dem Dorf der Künste Fußball“, erzählt Thia. Deshalb habe er sehr früh angefangen zu malen. 1981 verkaufte er seine ersten Gemälde. Und erinnert sich noch gut: „Ich wusste damals nicht, dass das ein Beruf sein kann.“