Sebastian Heindl wird Organist der Berliner Gedächtniskirche

Der gerade mal 25-jährige Musiker Sebastian Heindl tritt die Stelle als Organist an der geschichtsträchtigen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche im Herzen Berlins am Kudamm an.

Sebastian Heindl an der Orgel
Sebastian Heindl an der Orgelpromo / Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche

Die Kirchenmusiker trennen rund 40 Jahre Altersunterschied. Zwei gehen, einer kommt: Der Kirchenmusikdirektor Helmut Hoeft sowie der Titularorganist an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin, Wolfgang Seifen, verlassen nach 41 beziehungsweise 19 Jahren eine zentrale Kirche der Hauptstadt.

Sebastian Heindl, 1997 in Gera geboren, in Leipzig aufgewachsen, mit mehreren Preisen ausgezeichnet, ist ihnen zum 1. März als neuer Organist gefolgt. Alle drei hatten sich bereits in jungen Jahren für die Orgel begeistert und ihre Leidenschaft über das Singen in Kirchenchören verstärkt. Hoeft sang als Kind und Jugendlicher im Chor der evangelischen Markuskirche in Berlin-Steglitz mit. Seifen, westlich von Köln aufgewachsen, wurde ab seinem elften Lebensjahr Regensburger Domspatz. Heindl war Thomaner in Leipzig. Alle drei haben Orgel an unterschiedlichen Hochschulen studiert. Nach weiteren beruflichen Stationen kamen sie in die Gedächtniskirche.

Seit 41 Jahren an der Orgel

Hoeft musizierte hier ab 1982. Seifen, der Professor für Improvisation und liturgisches Orgelspiel an der nahen Universität der Künste (UdK) ist, fand mit der Karl-Schuke-Orgel seine Hausorgel. Der Katholik erhielt die Möglichkeit, an zwei Tagen in der Woche in der Gedächtniskirche unterrichten zu dürfen. Im Gegenzug konzertierte er hier und gestaltete einige Gottesdienste pro Jahr musikalisch. Während bei Hoeft und Heindl laut Stellenbeschreibungen musikalische Vielfalt gefragt war und ist, konnte sich Seifen in seinem Ehrenamt ganz auf die Orgel konzentrieren. Hoeft spielte in Gottesdiensten und Andachten regelmäßig die Orgel, führte die Motetten-Gottesdienste sowie den Psalm-Ton mit Jazzmusik ein, leitete die Kantorei, organisierte die Kirchenmusik, half als Tenor gelegentlich im Bach-Chor bei der Aufführung der Bach-Kantaten aus.

Auch Heindl wird künftig ein breites musikalisches Spektrum abdecken. Der 25-Jährige begleitet die Gottesdienste musikalisch, übernimmt die Organisation der Konzerte und setzt das von Seifen eingeführte Orgel-Improvisationsfestival fort. Er wird die Tradition des Psalm-Tons und der Motetten-Gottesdienste, die beide von Hoeft entwickelt wurden, weiterführen. Außerdem will er einen neuen Kammerchor gründen. „Ein Sprung ins kalte Wasser“, gesteht der Neuling. Er hofft auf das Mitwirken Studierender der UdK, aber auch auf ältere erfahrene Sängerinnen und Sänger. Am Anfang will er A-Capella-Literatur von Schein, Schütz, Mendelssohn und Distler aufführen. Die Konzerttermine am 7. Mai 2023 und 4. Juli 2023 stehen bereits fest.

Die Kunst der Improvisation

Hoeft erinnert sich, wie er sich bei der Wiederbelebung der Kantorei vor 40 Jahren SängerInnen zusammenborgen musste. Flexibilität ist bei den Kirchenmusikern immer wieder gefragt. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm teil. „Bis 20 Minuten vor Beginn stand das Protokoll noch nicht fest“, sagt Hoeft und stöhnt darüber heute noch etwas. Improvisieren liegt vielen Organisten im Blut und manchmal ist sie eine Überlebensstrategie für  unvorhergesehene Ereignisse. Ein Instrument wie ein ganzes Orchester hilft dabei. Nicht umsonst wird die Orgel gerne als „Königin der Instrumente“ bezeichnet.

Helmut Hoeft an der Orgel
Helmut Hoeft an der OrgelBoris Trenkel

Ein Begriff, der Heindl nicht so gefällt. Er spricht lieber vom „Chamäleon“, das viele neue Farben annehmen kann. Sie kann zwar majestätisch klingen, aber das könnten Pauke und Trompete auch. Welch große Fertigkeiten ein Organist dafür mitbringen muss, stellt Seifen heraus: „Improvisation ist keine Verlegenheitslösung, sondern eine eigenständige Kunstform.“ Einmal wurde Seifen vom Magazin Cicero aufgefordert, über Angela Merkel zu improvisieren. Noch heute spürt man Seifens Unbehagen. Schließlich habe er sie nicht einmal persönlich gekannt. Damit die Improvisation nicht nur eine flüchtige Angelegenheit ist, komponieren alle drei gerne. Hoeft hat das auch für seine Kantorei und das Vokalensemble mit Liedern und Motetten getan. Bei den Bach-Kantaten-Gottesdiensten und zu den Orgelvespern ist die Gedächtniskirche regelmäßig bis auf den letzten Platz gefüllt. Das ist sicherlich auch ein Verdienst der Kirchenmusik. „Stellen Sie sich mal vor, es gäbe in der evangelischen Kirche keine Kirchenmusik mehr. Dann bliebe von dem Duo Luther/Bach nicht mehr viel übrig. Wo gute Kirchenmusik gemacht wird, da kommen die Leute auch in die Kirche“, ist sich Seifen sicher.

Elektronische Musik an der Orgel

Heindl sieht in den sonst zurückgehenden Besucherzahlen eine Aufforderung an die Kirche allgemein, sich zu hinterfragen und neue Wege zu gehen. „Ich werde versuchen, musikalisch auszudrücken, was mir das Ganze gibt.“

Turm der Gedächtniskirche Berlin
Turm der Gedächtniskirche BerlinImago / Schöning

Er weiß, in diese Citykirche mit der Kriegsruine im Zentrum kommen Menschen unabhängig von ihrer Religion, die in dem „blauen Kasten“ Ruhe finden und ihre Seele baumeln lassen wollen. Der junge Organist will die Menschen mit Musik aus allen Epochen bis ins 21. Jahrhundert berühren. Dabei setzt er auch auf Jazz, elektronische Musik, eigene Kompositionen und eben Improvisation, zugeschnitten auf den jeweiligen Moment.

Die Orgelregister werden an den jungen Heindl komplett übergeben

Beide scheidenden Organisten werden sich zurückziehen. Sie wollen künftig nur noch zur Verfügung stehen, wenn sie darum gebeten werden. Hoeft wird nach mehr als vier Jahrzehnten mit vielen Sondergottesdiensten zur Grünen Woche, zum Holocaustgedenktag, Hochzeiten, Trauerfeiern für Prominente wie für Harald Juhnke oder Hildegard Knef, in anderen Kirchen weiterhin Gottesdienste spielen, komponieren und unterrichten. Seifen zieht zurück an den Niederrhein, wird seine Konzerttätigkeit fortsetzen, will komponieren und unterrichten, aber er will auch mehr Zeit mit seinen sechs Enkelkinder verbringen.

Und Heindl, an der Seite der verbleibenden Organisten Gunter Kennel und Jonas Sandmeier, steht in den Startlöchern. Er wird die Orgel mit ihren vier Manualen, 63 Registern und rund 5 000 Pfeifen genauer kennenlernen. Sein erster Eindruck: „Sie hat einen präzisen Klang ohne sekundenlangen Nachhall. Man braucht bei schnellen Tempi nicht vorsichtig zu sein.“ Sein Ehrgeiz ist, in den nächsten zwei Jahren seinen persönlichen Stil sichtbar zu machen.

Auswahl an Konzerten in der Gedächtniskirche

19. März, 16 Uhr Orgelkonzert zum Amtsantritt von Sebastian Heindl. Symbiose 1873, Max Reger und Karl Straube zum 150. Geburtstag. Eröffnung des Themenschwerpunkts der Orgelvespern 2023

1. April, 18 Uhr Konzert: J. S. Bach: Johannespassion BWV 245, Solist*innen, Bach-Chor, Bach-Collegium, Leitung: Achim Zimmermann

2. April, 18 Uhr Motettengottesdienst zum Palmsonntag, Ensemble Arcanum

9. April, 10 Uhr Festgottesdienst zum Ostersonntag, J. S. Bach: Kantate 4 „Christ lag in Todesbanden“ mit Vokalsolisten der Gedächtniskirche und Instrumentalisten, Leitung: Sebastian Heindl

15. April, 18 Uhr Chorvesper mit dem Kammerchor der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien „Cantate Domino“ – Werke von Schütz, Weir, Pärt

Weitere Informationen unter: www.gedaechtniskircheberlin.de/orgelmusik