„Schwerter zu Pflugscharen“: Das Symbol der Friedlichen Revolution

Vor 40 Jahren, am 24. September 1983, wurde das Zeichen „Schwerter zu Pflugscharen“ zum Symbol einer friedlichen Bewegung, die den Lauf der Geschichte ändern sollte.

Erschaffung "Schwerter zu Pflugscharen" 1983 in Wittenberg
Erschaffung "Schwerter zu Pflugscharen" 1983 in WittenbergIMAGO / epd

Ein Eisen muss man schmieden, solange es heiß ist. Eine Weisheit, die der Theologe Friedrich Schorlemmer wörtlich nahm: Im September 1983 lässt er im Wittenberger Lutherhof ein Schwert zu einer Pflugschar umschmieden. Es ist die spektakulärste Aktion der DDR-Friedensbewegung. Sie sollte nicht ohne Folgen bleiben.

„Es war eine sehr geheimnisvolle, aufgeladene Atmosphäre.“ Friedrich Kramer erinnert sich an diese Nacht, als sei sie gestern gewesen. Dabei ist es 40 Jahre her, als auf dem Lutherhof in Wittenberg der Kunstschmied Stefan Nau im Schein des Feuers ein Schwert zu einer Pflugschar umschmiedete. Kramer, heute Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Landesbischof in Mitteldeutschland, war damals 18 Jahre alt und stand kurz vor seiner Einberufung zu den Bausoldaten. Er war einer der gut 2 000 Jugendlichen, die ohne irgendeine offizielle Einladung zum Lutherhof gekommen waren und dieses unvergessliche Ereignis verfolgten.

Schmiedeaktion war im Geheimen geplant

Keiner wusste vor dieser Nacht des 24. September 1983, was ihn erwarten würde. Ganz im Geheimen, um Störungen durch die Staatssicherheit oder gar ein Verbot durch die SED zu verhindern, war die Aktion von dem damals 39-jährigen Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer und einer kleinen Friedensgruppe vorbereitet worden.

Großdemonstation im Bonner Hofgarten gegen die Aufrüstung
Großdemonstation im Bonner Hofgarten gegen die AufrüstungImago / Sven Simon

Die Bilder verbreiteten sich schnell über die Westmedien auch in die DDR hinein. Und sie trugen dazu bei, nicht nur die, die den Abend miterlebten, sondern auch unzählige Menschen in der DDR, die nicht dabei waren, zu ermutigen, nun erst recht für eine Welt ohne Waffen zu streiten. Vorausgegangen war eine für manchen Jugendlichen in der DDR existenzbedrohende Auseinandersetzung um das Zeichen „Schwerter zu Pflugscharen“.

SED wollte Zeichen aus der Öffentlichkeit verschwinden lassen

Die SED hatte ihm den Kampf angesagt und meinte es sehr ernst damit. Nach ihrem Willen sollte das Zeichen gänzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden. Friedrich Schorlemmer hatte die Parole ausgegeben: „Wenn man das Zeichen nicht mehr zeigen kann, wollen wir zeigen, wie man’s macht!“ Aus der Forderung nach nichtmilitärischer Konfliktlösung wurde bald der Ruf: „Keine Gewalt“, der in den Oktobernächten der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 der SED-Herrschaft ein Ende setzte.

Die Wittenberger Nacht war ein Meilenstein auf dem Weg dorthin. Als „nächtliche Hammerschläge unter Luthers Wohnstube“ hat Friedrich Schorlemmer später einmal diese Aktion an dem eher kühlen Septembertag genannt. Sie war Teil eines evangelischen Kirchentages in der Lutherstadt, von denen es in diesem Jahr des 500. Geburtstages Martin Luthers 1983 sieben gab. 200 000 Menschen nahmen insgesamt daran teil, über die Hälfte war unter 35 Jahre alt.

Das Lebensgefühl einer Generation in Ost und West

Das Jahr 1983 war das der Hochrüstung in Ost und West. Nenas pazifistischer Song „99 Luftballons“ eroberte nicht nur Platz eins der Hitparaden, er bestimmte das Lebensgefühl einer ganzen jungen Generation – auf beiden Seiten der Mauer.

Friedrich Kramer sagt dazu: „Wir waren ja in einer ähnlichen Situation wie heute: keine Verträge, keine Absicherungen, Angst vor dem Feind, Aufrüstung pur.“ Die Angst vor einem atomaren Erstschlag, dem „großen Knall“, ging um. Ebenso wie die vor dem Waldsterben, dem sauren Regen, der Zerstörung der Schöpfung. Wer in die Programme der Kirchentage im Lutherjahr schaut, wird feststellen:

Nicht nur im Westen, wo am 22. Oktober Hunderttausende im Bonner Hofgarten demonstrierten, auch im Osten war das so. Friedrich Schorlemmer hatte auf dem Lutherhof bei der Schmiedeaktion eine verblüffende Vision parat: „Wir haben den Krieg verloren und können ihn nicht wiederfinden. Wir haben den Frieden gewonnen und wollen ihn nicht verlieren.“

Thesen zu den „Spannungen in dieser Kirche – in unserer Welt – in uns selbst“

Schon der vom Wittenberger Friedenskreis vorbereitete Disputationsgottesdienst am Abend vor der Schmiedeaktion in der Wittenberger Schlosskirche, an die Martin Luther seine 95 Thesen angeschlagen hatte, spricht Bände. Neben Luthers Grab war eine Tür aufgestellt, an die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre aktuellen Thesen anschlagen sollten: Thesen zu den „Spannungen in dieser Kirche – in unserer Welt – in uns selbst“, wie es hieß.

Friedrich Schorlemmer bei Einweihung Denkmal "Schwerter zu Pflugscharen 2017 in Wittenberg
Friedrich Schorlemmer bei Einweihung Denkmal "Schwerter zu Pflugscharen 2017 in WittenbergIMAGO / epd

Bei der Begrüßung hatte Friedrich Schorlemmer angesichts der anwesenden Stasi-Leute erklärt: „Spitzt die Ohren und lasst euch nicht beeindrucken von spitzen Ohren.“ Und: „Wetzt die Worte, nicht die Messer, Scharfsinn tötet nicht.“ In der Erklärung hieß es dann: „Wir stehen heute vor einer Krise des Lebens selbst. Die Sintflut ist herstellbar geworden – als tausendfacher Blitz, als milliardenfaches Verhungern, als schleichende Vergiftung. Wer glaubt, so weiter leben zu können wie bisher, beteiligt sich am Untergang.“

Die Aktualität dieser Sätze könnte kaum größer sein. Fünf Jahre zuvor hatte bei dem Spitzengespräch zwischen Staat und Kirche am 6. März 1978 kein Geringerer als Staats- und Parteichef Erich Honecker der Leitung des DDR-Kirchenbundes die Zusage gegeben, die kirchlichen Vorhaben zum Luthergedenken von staatlicher Seite zu unterstützen. Was immer er sich davon versprach, die Auswirkungen hat er wohl weder vorhergesehen noch gewollt.

Erste öffentliche Proteste gegen Militarisierung der DDR

Schon ein Jahr danach kam es in den Kirchen zu ersten öffentlichen Protesten gegen die zunehmende Militarisierung der DDR-Gesellschaft – etwa durch die Einführung von Wehrlagern für Studierende und Lehrlinge oder von schulischem Wehrunterricht. Der beängstigende Rüstungswettlauf kam hinzu. Die kirchliche Jugendarbeit reagierte mit dem Vorschlag, alle Jahre im Herbst zu einer „Friedensdekade“ einzuladen. Gemeinsames Motto war „Schwerter zu Pflugscharen“.

Dieses Zeichen symbolisiert, was auch für die Friedliche Revolution entscheidend war: „Keine Gewalt!“. Was für eine Botschaft auch angesichts der AfD, die die Ereignisse von 1989 immer wieder für sich vereinnahmen will – zu Unrecht, weil sie Veränderungen mit Gewalt, vor allem auch mit verbaler Gewalt, voranzubringen gedenkt. „Steh auf, misch dich ein, du kannst die Welt verändern, sie friedlicher und demokratischer machen, wenn du es gewaltlos tust.“ Diese Botschaft vom Herbst 1989 hat sich denn auch die Stiftung Friedliche Revolution zur Aufgabe gesetzt, die 2009 in Leipzig von Menschen aus Ost und West gegründet wurde.

Friedrich Schorlemmer und Dietmar Woidke beim Festakt 25 Jahre Friedliche Revolution in Cottbus im Jahr 2014
Friedrich Schorlemmer und Dietmar Woidke beim Festakt 25 Jahre Friedliche Revolution in Cottbus im Jahr 2014IMAGO / Jens Weisflog

Stiftung Friedliche Revolution will kommende Generationen ermuntern

Sie will die Ereignisse von damals nicht ins Museum stellen, sondern sich im Geist der Friedlichen Revolution und in Erinnerung an die Rolle der Kirchen auch heute einmischen und kommende Generationen dazu ermuntern. Friedrich Schorlemmer gehört seit ihrer Gründung dem Stiftungs-Kuratorium an. Am 10. Oktober des Jahres 1993 erhielt er in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. In der Begründung hieß es, er habe „durch sein Beispiel seine Mitmenschen in der Hoffnung bestärkt, dass auch weiches Wasser den Stein bricht“.

Die Laudatio hielt Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der sich auch an jene denkwürdige Nacht des 24. September 1983 in Wittenberg erinnert. Er war einer der vielen West-Gäste auf dem Kirchentag. Diese Aktion, sagte er, „war eine Aussaat ohne Kenntnis, wann und wie es zur Ernte kommen werde, aber in der Zuversicht darauf“.

Friedensfest – 40 Jahre „Schwerter zu Pflugscharen“

Am 21. September ab 17 Uhr laden die Luther-Museen gemeinsam mit der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, der EKD und der Stadt Wittenberg am Weltfriedenstag anlässlich des 40. Jahrestages der Schmiedeaktion „Schwerter zu Pflugscharen“ zu einem Fest für die Bürgerinnen und Bürger ein. Die Teilnahme ist frei, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.