„Schwarze Milch“ – ein Film, der mitreißt und lange nachhallt

„Schwarze Milch“ ist ein sehenswertes semibiografisches Drama über eine mongolischstämmige Deutsche, die nach langer Abwesenheit zu ihrer Nomaden-Schwester in die Wüste Gobi zurückkehrt.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Die mongolischstämmige Deutsche Wessi (Uisenma Borchu) kehrt nach langer Abwesenheit zu ihrer Schwester Ossi (Gunsmaa Tsogzol) in die Wüste Gobi zurück, welche dort ein traditionelles Leben als Nomadin führt. Der semibiografische Film von Uisenma Borchu aus dem Jahr 2019 scheint zunächst relativ konventionell von einem Culture Clash zu erzählen, entwickelt sich aber bald zu einer sehenswerten, komplexen, auch provozierenden Studie über die Suche nach (weiblicher) Identität und Selbstbestimmung. Die selbstbewusste Erzählhaltung, gute (Laien-)Darsteller und eindrückliche Kameraarbeit unterstreichen dabei die Vielzahl an Bezügen, Motiven und Denkansätzen.

„Willst du dich denn nicht kennen?“, fragt Wessi Ossi einmal. Wessi ist eine junge Frau, die seit Jahren in Deutschland lebt, Ossi ihre Nomadenschwester, die ein traditionelles Leben in der mongolischen Steppe führt. Jetzt ist Wessi heimgekehrt – ob für immer oder nur auf Zeit, lässt der Film offen. Natürlich ist die Rückkehr für Wessi mit der Sehnsucht nach Wurzeln und Heimat verknüpft. Deren Suche überträgt sich auf die Schwester: Denn Wessi hinterfragt die Rituale und Traditionen der mongolischen Gesellschaft, beleuchtet grell deren patriarchalische Regeln. Und stellt Ossi damit auch die Frage, wo sie als Frau sich in dieser archaischen Welt verortet.

„Schwarze Milch“ der mongolischstämmigen Drehbuchautorin, Regisseurin und Schauspielerin Uisenma Borchu, die selbst als kleines Kind in die DDR kam, welche dann kurze Zeit später zur BRD wurde, ist also ein Film über Identität und Zugehörigkeit.

„Gehört“ Wessi (Uisenma Borchu) zu ihrem deutschen Geliebten Franz (Franz Rogowski), wie dieser behauptet? Und „gehört sie nicht“ zu den Mongolen, wie einer deren Anführer sagt, als sie später die dortigen sittlichen Regeln gebrochen hat? Auffallend ist, dass hier stets Männer über derlei Zuordnung bestimmen (wollen).

Natürlich ist es in Wahrheit sowieso viel komplizierter, wie dieser ruhig entwickelte Film erzählt: Wahre Identität und Heimat lassen sich letztlich nur in einem selbst finden – wobei schwesterliche Solidarität bei der Suche zumindest nicht schaden kann. Insofern ist „Schwarze Milch“ auch ein emanzipatorisches Werk, eine Loslösung von Vorstellungen, die von außen oktroyiert werden.

Doch Borchu geht es bei weitem nicht nur um den Culture Clash zwischen West und Ost, zwischen Stadt und Land, zwischen Tradition und Moderne. Ihr geht es um eine darüber hinaus gehende Grenzüberschreitung, darum, ihre Zuschauer aus der Komfortzone zu holen, und durchaus auch um Provokation.

Wobei diese nicht zum Selbstzweck gerinnt: Als Wessi von einem vorbeireisenden Mann vergewaltigt wird, deutet sie das brutale Geschehen nicht der hohlen Provokation wegen um („Ein Mann steht in der Tür, weil ich das so will!“), sondern um die Deutungshoheit zu behalten. Auch die tatsächliche, „dokumentarisch gefilmte“ Ziegenschlachtung hat ihre inhaltliche Anbindung. Die schwangere Ossi (Gunsmaa Tsogzol) zum Rauchen verführen zu wollen, fällt hingegen wohl doch eher in die Kategorie Provokation um der Provokation willen.

Borchu arbeitet auf der dramaturgischen wie bildlichen Ebene viel mit Gegensätzen, ohne dass dies schematisch wirken würde: Die entindividualisierten Namen „Wessi“ und „Ossi“ sprechen für sich. Kameramann Sven Zellner hat zudem eindrückliche Bilder für diese Antagonismen gefunden und fängt Menschen, Tiere und Landschaft in berückend schönen, sinnlichen Bildern ein.

Und dann wäre da noch das Motiv der Milch – der bekannten weißen sowie der „schwarzen Milch“ des Filmtitels: Für die Mongolen sei Milch „das Allerwertvollste“, erklärt Ossi einmal. Tatsächlich wird hier ständig etwas aus der Flüssigkeit zubereitet, gegessen oder getrunken. Und doch lässt sich Ossi von Wessi irgendwann dazu verführen, wie Kleopatra in Stutenmilch zu baden – etwas, was sie zuvor als absurde Verschwendung von sich gewiesen hatte.

Die schwarze Milch steht laut Borchu für die unsichtbare, oft übersehene Kraft der Frauen in einer patriarchalischen Welt. Natürlich denkt man unwillkürlich an die berühmte „Todesfuge“ von Paul Celan, wo die „schwarze Milch der Frühe“ für die vollkommene Hoffnungslosigkeit steht – doch führt diese Assoziation hier wohl in die Irre. Klar festhalten lässt sich hingegen, dass „Schwarze Milch“ ein an interessanten Bezügen, Motiven und Denkansätzen reicher, gelegentlich rätselhafter Film ist, der mitreißt – und lange nachhallt.