Schutzlos in Deutschland

Sie haben sich aus Afghanistan gerettet und kommen oft ohne Papiere nach Deutschland. Doch auf die Rechtshilfestelle „Fluchtpunkt“ können sich Flüchtlinge verlassen.

Anne Harms setzt sich seit 1994 für Flüchtlinge ein –  der Umfang der Gesetzestexte hat sich seitdem verdreifacht
Anne Harms setzt sich seit 1994 für Flüchtlinge ein – der Umfang der Gesetzestexte hat sich seitdem verdreifachtJohann Tyrell

Hamburg. Wenn Anne Harms derzeit ihren Arbeitstag beginnt, ist ihr Postfach voll mit Mails. Und sie kann davon ausgehen, dass ihr Telefon kaum stillstehen wird. „Die Afghanen sind die größte Flüchtlingscommunity hier in Hamburg“, erklärt sie. Durch die Praxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seien viel von ihnen Klienten geworden.

Anne Harms leitet die kirchliche Rechtshilfestelle „Fluchtpunkt“. Acht Volljuristen und eine Psychologin kämpfen vor Behörden und Gerichten für geflüchtete Menschen, die einen Schutzstatus erreichen möchten, die von Abschiebung bedroht sind oder noch gar keine Papiere haben.

Angst um Angehörige

Seit Mitte August die Taliban Afghanistan zurückerobern, und die Menschen kaum eine Chance haben, das Land noch zu verlassen, ist die Angst um Angehörige groß. „Mich rufen junge Männer an, die Angst um ihre kleinen Schwestern haben oder um Angehörige, die als Polizisten, Journalistinnen oder am Impfaufklärungsprogramm der UNESCO gearbeitet haben“, so Harms. „Das ist sehr bedrückend, denn wir haben leider keine Möglichkeit dazu.“

Viele Klagen haben Erfolg

Menschen, die das Kabuler Flughafengelände stürmen und sich an startende Flugzeuge klammern, Familien, die zwischen die Fronten von Taliban und US-Soldaten geraten – die Bilder dieser Tage sind schier unerträglich. Doch trotz dieser Situation leitet das BAMF bis heute Widerrufsverfahren gegen Afghanen, die schon seit Jahren in Hamburg leben ein. Die Begründung: Kabul sei eine sichere „inländische Fluchtalternative“. „Wir machen hier seit mehr als 20 Jahren Rechtsstaatpflege“, sagt Harms.

Viele Menschen würden beim Begriff Rechtsstaat erst einmal an „Law and Order“ gegenüber den Bürgern denken. Doch der Begriff beutet viel mehr, dass Staat und Verwaltung an Gesetze gebunden sind und sie von unabhängigen Gerichten kontrolliert werden. „Es ist die Aufgabe aller und insbesondere auch der Kirche, die Rechte der Schwächsten zu schützen“, so Harms. „Unsere Erfolgsquote bei Klagen ist sehr hoch.“

Einzigartig in Deutschland

Immer wieder richten sie auch Klagen gegen Behörden. Wie 2020, als sie vor dem Oberlandesgericht gegen die gängige Abschiebepraxis klagten, bei der Menschen auch nachts ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl aus ihren Wohnungen geholt werden durften. Mit Erfolg.

„Wir erklären den Menschen nicht, dass es Rechtsmittel gibt, sondern setzen sie ein“, sagt Harms. Das sei einzigartig in Deutschland. Und die Nachfrage steigt. Über die Hälfte der Afghanen, die in Deutschland ein Schutzstatus erhalten haben, mussten ihn einklagen.

In der Verantwortung

„Natürlich ist es unsere Verantwortung, die Menschen aus Afghanistan aufzunehmen. Wessen denn sonst?“, sagt Harms mit Blick auf die aktuelle Aussage, dass sich 2015 nicht wiederholen dürfe. „Uns ist 2015 nichts Schlimmes widerfahren. Was uns widerfahren ist, ist eine große Hilfsbereitschaft der Menschen. Das soll sich sogar wiederholen.“

Doch Gutachten, Gerichtskosten und Dolmetscher kosten Geld. „Als spendenfinanzierte Einrichtung hat uns die letzte Zeit arg zugesetzt“, berichtet Harms. Normalerweise kommt ein Großteil der Spenden aus den sonntäglichen Kollekten. Doch durch Corona fielen die weg. „Im Moment ist es tatsächlich sehr, sehr knapp bei uns.“ Um „die Not zumindest ein bisschen zu lindern“, hatte „Fluchtpunkt“ einen Förderantrag beim Hamburger Spendenparlament eingereicht – der nun bewilligt wurde. 70.000 Euro stellten die Parlamentarier der Rechtshilfestelle zur Verfügung. Die Grundfinanzierug leisten weiterhin die Landeskirche und die beiden Hamburger Kirchenkreise. Jedoch: „Die landeskirchlichen Mittel wurden seit 2018 erheblich reduziert. Und um unsere Unabhängigkeit zu wahren, können wir keine öffentlichen Bundes- oder Landesmittel annehmen“, so Harms.

Info
Weitere Informationen und die Möglichkeit zu Spenden gibt es hier.