Schuldig – so oder so

Ist ein Militäreinsatz gegen den „Islamischen Staat“ aus christlicher Sicht legitim? Stephan Holthaus und Renke Brahms sind in dieser Frage unterschiedlicher Ansicht

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Am 4. Dezember stimmte der Bundestag dem Bundeswehreinsatz gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) zu. Danach sollen bis zu 1200 deutsche Soldaten mit Aufklärungsflugzeugen und einer Fregatte die internationale Koalition im Kampf gegen die Islamisten unterstützen. Dieser Schritt ist nicht nur in der Politik umstritten. Auch in kirchlichen Kreisen wird darüber diskutiert. Dabei überwiegen die kritischen Stimmen. Unmittelbar nach dem Beschluss warnte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, davor, Militäreinsätzen zu viel zuzutrauen, und verwies auf ein fehlendes UN-Mandat. Das beklagt auch der Lutherische Weltbund. Er befürchtet, dass die Angriffe den Extremismus sogar stärken könnten. Der reformierte Kirchenpräsident Martin Heimbucher dagegen bezeichnete den deutschen Einsatz als „christlich verantwortbar“ (siehe UK 51/2015, Seite 4). In dieser Ausgabe stellen wir zwei Positionen zum Miltäreinsatz gegen den IS vor. Die Frage  lautete: Ist ein solcher Einsatz aus christlicher Sicht legitim?*

PRO: Stephan Holthaus
Der IS ist eine der brutalsten und schlimmsten Terrororganisationen aller Zeiten. Er schreckt vor Folter, Vergewaltigung und Völkermord nicht zurück. Tausende haben ihr Leben durch IS-Schergen schon verloren, darunter auch viele Christen. Ein gewaltsames Zurückschlagen des IS ist mittlerweile eine absolute Notwendigkeit, um größeres Leid zu verhindern.
Christliche Ethik hat den Krieg als „ultima ratio“ nie ausgeschlossen. Der Staat muss auch zum Schwert greifen können, um seine Bevölkerung zu schützen (Römer 13,4). Wer der Obrigkeit das Schwert nimmt, überlässt den Tyrannen das Feld.
 Ein gewaltsames Vorgehen gegen den multinationalen Terrorismus ist dabei durch ein gemeinsames Vorgehen der internationalen Staatengemeinschaft unter Einbeziehung einheimischer Kräfte und islamischer Staaten verantwortbar, wie es jetzt geschieht. Die Kriegsmittel müssen dabei angemessen sein. Ziel muss der nachhaltige, „gerechte Frieden“ sein, nicht nur die Zerstörung des Feindes.
Die Nachkriegsordnung ist entscheidend. Durch Krieg allein wird man den IS nicht besiegen. Das Austrocknen der finanziellen Ressourcen ist genauso wichtig, ebenso die Eindämmung der medialen Macht. Noch wichtiger ist die Aufklärungsarbeit in westlichen Ländern, damit sich hier nicht noch mehr junge Menschen radikalisieren und dem IS anschließen. Hier sind Christen gefragt, ihren Glauben überzeugend zu leben. Wer jetzt nur zusieht, macht sich schuldig. Pazifistische Weltverbesserungsideale werden kein Menschenleben retten. Schon Dietrich Bonhoeffer sprach vom „Rad, dem man in die Speichen fallen muss“. Auch dabei wird man schuldig. Das stimmt. Aber es ist die Schuld eines „verantwortlichen Handelns“ des Hinsehens, nicht die scheinbare „Sündlosigkeit“ des Wegschauens (Bonhoeffer). Das tut not.

Professor Stephan Holthaus ist Prorektor der Freien Theologischen Hochschule Gießen und Direktor des Instituts für Ethik & Werte.

KONTRA: Renke Brahms
Nach den fürchterlichen Anschlägen in Paris sind die Trauer, der Schrecken und die Wut vieler Menschen nur zu gut zu verstehen. Diese Selbstmordattentate sind brutale Verbrechen. Unsere Solidarität gilt zuallererst den Angehörigen der Opfer, aber auch dem gesamten französischen Volk. Doch diese Solidarität darf nicht voreilige Maßnahmen legitimieren, die wie in Afghanistan zu zweifelhaften Ergebnissen führen.
Das Leitbild des „Gerechten Friedens“ geht von einem Vorrang der Gewaltfreiheit vor militärischen Mitteln aus. Evangelische Friedensethik, wie sie 2007 in der EKD-Friedensdenkschrift festgehalten ist, sieht einen Einsatz militärischer Gewalt nur als äußerste Möglichkeit im Sinne rechtserhaltender Gewalt als legitim an, wobei ein UN-Mandat zwingend vorliegen muss. Dies ist derzeit nicht der Fall. Wir dürfen aber das ohnehin durch Einsätze der Vergangenheit angeschlagene Völkerrecht nicht weiter aushöhlen.
Terrorismus ist ein Verbrechen und wie ein Verbrechen zu bekämpfen. Kriegsrhetorik führt dagegen in die Irre und darf das Handeln nicht bestimmen. Auch wenn das humanitäre Elend zum Himmel schreit und einen moralischen Druck erzeugt, zeigen sich für ein militärisches Eingreifen, das nach allen Erfahrungen nur Gewalt verstärkt, keine Erfolgsaussichten. Deshalb setzen wir auf politische Verhandlungen, die mit den Wiener Gesprächen begonnen haben, einen geduldigen Weg politischer Überzeugungsarbeit und zivilgesellschaftliches Engagement wie auf die Einbindung möglichst vieler gesellschaftlich relevanter Gruppen in den jeweiligen Staaten. Ebenso müssen die Finanzströme und der Ölverkauf des IS unterbrochen werden. Besondere Bedeutung hat die Zusammenarbeit mit den wenigen in Syrien verbliebenen zivilgesellschaftlichen Friedensakteuren.

Renke Brahms ist Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Zudem ist er Schriftführer (oberster theologischer Repräsentant) der Bremischen Evangelischen Kirche).

* Quelle: Idea