Schlafen, altern, lieben – Verlag startet neue Reihe “Leben”

Das Einfache und Alltägliche wird zum literarischen Gegenstand namhafter Autoren: Der Hanser Verlag Berlin startet jetzt eine neue Buchreihe über “die zehn wichtigsten Themen des Lebens”, wie er selbst sagt.

Was tun alle Menschen dieser Welt? Schlafen, essen und altern gehören ganz bestimmt dazu; lieben und streiten wahrscheinlich auch. Spielen und wohnen, arbeiten und sprechen sind vielleicht nicht völlig unabdingbar. “Reisen” bezieht sich dagegen klar nicht auf alle Menschen; es gibt auch im Zeitalter der Globalisierung durchaus welche, die verreisen nie. Vielleicht weil sie es nicht möchten. Häufiger wahrscheinlich, weil sie es sich nicht leisten können.

Dennoch betrachtet der Hanser Verlag Berlin das “Reisen” als eines der “zehn wichtigsten Themen des Lebens”, wie er selbst den aktuellen Start der Buchreihe bewirbt. Das gibt der originellen und schönen Idee einen ein wenig ausschließenden Charakter: Sie spricht damit vornehmlich eine bestimmte Gesellschaftsgruppe an – und möglicherweise deren “zehn wichtigste Dinge des Lebens”.

Die Auswahl der Themen sei “natürlich subjektiv”, räumt Verlagsleiterin Lina Muzur ein. Sie berichtet, dass es auch in ihrem Team durchaus Diskussionen darüber gab, welche Themen das “Leben” am besten in all seinen Dimensionen erfassen. “Einige hätten gerne Fühlen dabeigehabt, andere Glauben, wieder andere Träumen oder eben Lesen.” Es solle in der Buchreihe um “das Wesentliche” des Lebens gehen. Die Essays sollten dabei “weder belehren noch therapieren, sondern ganz sanft unseren Blick verschieben”, sagt Muzur.

Das Konzept erinnert an Erich Kästners “Lyrische Hausapotheke”. Bei dem 1936 erschienen Band handelt es sich um eine Gedichtsammlung, die im Vorwort die Anwendung in Art einer Apotheke empfiehlt. Der Leser findet unter 36 aufgeführten Unannehmlichkeiten von “A bis Z” den eigenen körperlichen oder seelischen Zustand wieder. Dahinter wird Auskunft gegeben, welche Seiten er zur Linderung seines jeweiligen Problems aufschlagen kann.

Auch die geplanten zehn “Leben”-Bände des Hanser-Verlags sollen “wie ein kleiner Handapparat funktionieren, aus dem man – je nach Lebenssituation oder -phase – einzelne Bücher herauszieht und immer wieder aufs Neue liest, eine Art Mini-Bibliothek, die einen ein ganzes Leben lang begleitet”, kündigt Muzur an.

Geschrieben sind die Bücher fast ausschließlich von Frauen: Elke Heidenreich befasste sich mit “Altern”, Theresia Enzensberger mit “Schlafen” (beide soeben erschienen), Svenja Flaßpöhler mit “Streiten” (Herbst 2024), Emilia Roig mit “Lieben” (Herbst 2024), Heike Geißler mit “Arbeiten” (Frühjahr 2025), Doris Dörrie mit “Wohnen” (Frühjahr 2025), Karen Köhler mit “Spielen” (Herbst 2025), Daniela Dröscher mit “Sprechen” (Frühjahr 2026) und Felicitas Hoppe mit “Reisen” (Frühjahr 2026).

Der einzige schreibende Mann der Reihe ist Daniel Schreiber, der sich mit “Essen” beschäftigen darf. Ist das Zufall, dass es sich bei den anderen um Frauen handelt? “Der gesamte deutschsprachige Kanon besteht fast nur aus Werken von männlichen Autoren. Ob das wohl Zufall ist?”, so Muzur zu der Geschlechterfrage. “Ich kann weiß Gott nichts dafür, dass es gerade so viele gute Autorinnen und nicht so viele gute Autoren gibt. Das geschlechtliche Missverhältnis bei unserer Reihe ergab sich ganz von selbst.”

Den Auftakt machen die 81-jährige Autorin Heidenreich mit mehr als 100 Seiten übers “Altern” und die 38-jährige Autorin Enzensberger mit mehr als 100 Seiten zum Thema “Schlafen” – chronische Schlafprobleme inklusive. Beide gehen in sehr persönlicher Weise auf die Thematiken ein, was die Lektüre interessant macht. Alle wollten alt werden, aber niemand wolle es sein, so etwa Heidenreich in ihrem Essay. Sie kommt zu dem Schluss: “Das meiste ist vollkommen unwichtig. Man sollte einfach atmen und dankbar sein.”