Scharfe Kritik an Kommissionsempfehlungen zu Abtreibung

Die Autorinnen und Autoren, die am Montag Empfehlungen für ein liberaleres Abtreibungsrecht vorgelegt haben, erhalten viel Gegenwind: vom der Chef der Bundesärztekammer, von Theologen, aber auch von Juristen.

Scharfe Kritik an den Empfehlungen einer Regierungskommission zum Abtreibungsrecht kommt von Ärzten, Theologen und Juristen. Dass die Kommission dem Embryo nur ein abgestuftes Grundrecht auf Leben zubillige und dem Recht auf reproduktive Selbstbestimmung einen höheren Rang zumesse, verschiebe massiv bisherige Grenzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der Verfassung und der ärztlichen Ethik, schreiben der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhard, der katholische Bonner Moraltheologe Jochen Sautermeister und der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing in einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Donnerstag).

In ihrem am Montag vorgestellten Bericht, der sich auch mit Eizellspende und Leihmutterschaft befasst, empfiehlt die Kommission, die rechtliche Bewertung der Abtreibung aus dem Strafrecht herauszunehmen. In den ersten zwölf Schwangerschaftswochen solle die Abtreibung komplett freigestellt und rechtmäßig sein. Bis zur 22. Woche könne der Gesetzgeber entscheiden, unter welchen Voraussetzungen ein Abbruch straffrei sein solle. Ab der 22. Woche sei der Abbruch rechtswidrig.

„Die Kommission verschiebt damit die Grenze des verfassungsrechtlich Diskutierbaren weit über den aktuellen Stand hinaus“, betonen die Autoren in der FAZ. Es es gebe einen grundlegenden Unterschied zwischen der Kommission, die dem Embryo/Fetus den vollen Schutz der Menschenwürdegarantie abspreche, und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993. Damals hatte Karlsruhe in seiner letzten einschlägigen Stellungnahme festgelegt: „Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu. Die Rechtsordnung muss die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines eigenen Lebensrechts des Ungeborenen gewährleisten. Dieses Lebensrecht wird nicht erst durch die Annahme seitens der Mutter begründet.“

Reinhardt, Sautermeister und Thüsing betonen, dass das Verfassungsgericht eine Abtreibung unter bestimmten Voraussetzungen als rechtswidrig bezeichnet, aber straffrei gestellt habe. „Die Rechtsprechung hat die Grundrechte der Frau fest im Blick“, schreiben sie. „Unzumutbare Ausnahmelagen sind etwas anderes als die Freigabe für einen ganzen Zeitraum.“

Die aktuelle Beratungslösung sei die Antwort der Politik gewesen, den Lebensschutz und die Achtung des Selbstbestimmungsrechts der werdenden Mutter in einen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen, betonen die Autoren. Diesen Ausgleich im Sinne der Kommissionsempfehlungen neu zu justieren wäre nur möglich, wenn das Bundesverfassungsgericht zentrale Teile seiner Rechtsprechung zurücknehmen würde. „Solange dies nicht der Fall ist, bewegt sich die Kommission schlicht in einer weit entfernten verfassungsrechtlichen Parallelwelt.“

Kritik üben die Autoren auch an der Bundesregierung, die der Experten-Kommission den Titel „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ gegeben hatte. „Schwangerschaftskonflikte lediglich unter der Überschrift der reproduktiven Selbstbestimmung zu verhandeln, verschiebt die normative Blickrichtung. Denn das Lebensrecht des Ungeborenen wird damit bereits terminologisch ausgeblendet“, heißt es. „Die existenziellen Konflikte, in denen sich schwangere Frauen erleben, lassen sich nicht mit dem Verweis auf ein Recht auf reproduktive Selbstbestimmung lösen.“

Auch die Thüringer Regionalbischöfin Friederike Spengler sieht die Empfehlungen der Expertenkommission zur Abtreibungsregelung kritisch. Sie sehe nicht die Notwendigkeit, an der bisherigen Regelung etwas zu ändern, sagte sie dem Deutschlandfunk (Donnerstag). In einer offiziellen Stellungnahme hatte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein abgestuftes Lebenskonzepts in den ersten zwölf Wochen vertreten, das entspricht den Empfehlungen der Kommission.

Im Falle einer Neuregelung und Liberalisierung plädiert Spengler dafür, die Beratungspflicht beizubehalten – sofern dies juristisch möglich sei. Die Bischöfin sieht die Beratung als eine Chance für die Frau. Sie habe zu DDR-Zeiten erlebt, dass es diese Möglichkeiten nicht gegeben habe und ein Abbruch für viele auch eine Art Verhütung gewesen sei. Sie wisse von Fällen, in denen Frauen, die in der DDR abgetrieben hätten, es bedauert hätten, dass ihnen eine solche Möglichkeit gefehlt habe.