Seenotretter der „Iuventa“ in Italien vor Gericht

Seit eineinhalb Jahren steht in Italien die Crew des Seenotrettungsschiffs „Iuventa“ vor Gericht. Bald soll sich entscheiden, ob es zu einer Hauptverhandlung kommt. Den Angeklagten droht lange Haft.

Am 2. August 2017 beschlagnahmen italienische Behörden die "Iuventa"
Am 2. August 2017 beschlagnahmen italienische Behörden die "Iuventa"Imago / Italy Photo Press

Eigentlich sollte die Entscheidung noch 2023 fallen. Nun wird sich der Prozess um Seenotretter der „Iuventa“ im italienischen Trapani doch ins neue Jahr ziehen. Dabei geht es erst einmal darum, ob überhaupt ein Hauptverfahren eröffnet wird. Die für Mitte Dezember geplanten Plädoyers wurden auf Anfang 2024 verschoben. Fünf Termine stehen im Januar und Februar an – die für die Schlussplädoyers stehen noch nicht fest. Kommt es tatsächlich zu einem Hauptprozess, würden den Angeklagten wegen „Beihilfe zu irregulärer Einwanderung“ bis zu 20 Jahren Haft drohen.

Das gesamte Verfahren gegen insgesamt 21 Seenotretterinnen und -retter ist auf fünf Standorte aufgeteilt. In Trapani stehen zehn Personen vor Gericht, darunter vier Deutsche, die zur Crew der „Iuventa“ gehörten. Das Schiff des Berliner Vereins „Jugend Rettet“ gehörte zu den ersten, die im Sommer 2016 in See stießen, um Geflüchtete zu retten, die von Nordafrika aus in oftmals seeuntauglichen Booten Europa erreichen wollten. Nach Angaben der „Iuventa“-Crew konnte diese zwischen Juli 2016 und August 2017 mehr als 14.000 Menschen vor dem Ertrinken bewahren.

Von italienischen Behörden beschlagnahmt

Seit mehr als sechs Jahren aber kann die „Iuventa“ niemandem mehr helfen. Am 2. August 2017 wurde das Schiff von italienischen Behörden beschlagnahmt. In Trapani wird den Crew-Mitgliedern und auch jenen der „Vos Hestia“ von „Save the Children“ und der „Vos Prudence“ von „Ärzte ohne Grenzen“ vorgeworfen, mit Schleppern zusammengearbeitet haben. Am 21. Mai 2022, nach fast fünf Jahren Ermittlungen, hat die Vorverhandlung auf Sizilien begonnen. Die Seenotretter sprechen von Beginn an von einem politisch motivierten Verfahren.

Ob die Verlängerung ins neue Jahr für sie gut oder schlecht ist, kann Sascha Girke, einer der Angeklagten der „Iuventa“-Crew, nicht einschätzen. Nach seiner Beobachtung hat sich der Ton im Gerichtssaal in den vergangenen Monaten verschärft. „Der Richter spricht in seinen Begründungen fast ausschließlich von “clandestini„ (deutsch: Illegalen) und nicht etwa von Menschen in Seenot“, sagte Girke dem epd. Außerdem vergleiche der Richter den Fall „mit der Gerichtsbarkeit über Zwangsprostitution“, und der Staatsanwalt verlasse den Saal, während die Angeklagten redeten.

Im Mittelmeer müssen immer noch Menschen gerettet werden
Im Mittelmeer müssen immer noch Menschen gerettet werdenImago / Joker

Der Richter hat nun eine detaillierte Karte der Bewegungen der Schiffe vom 10. September 2016 und vom 18. Juni 2017 bei der Seenotrettungsleitstelle in Rom in Auftrag gegeben. Des Weiteren beantragte die Staatsanwaltschaft, zwei Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma als Zeugen anzuhören, die auf der „Vos Hestia“ mitgefahren sind. Auf ihren Berichten fußt im Grunde die Anklage. Der Angeklagte Girke wundert sich darüber, „weil unsere Anträge auf Anhörung unserer Zeugen und Sachverständigen abgelehnt wurden, mit der Begründung, dass dies im Vorverfahren nicht nötig wäre und zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde“. Die neu angeforderten Daten zu den Schiffsbewegungen allerdings „können eigentlich nur das beweisen, was wir bereits angegeben haben“.

Mittelmeer bleibt gefährlichste Route für Flüchtlinge

Das Mittelmeer zählt zu den gefährlichsten Fluchtrouten der Welt. Seit Beginn des Jahres kamen laut der UN-Organisation für Migration (IOM) bei der Überquerung 2.571 Menschen ums Leben oder sie werden vermisst. Seit 2014 sind es 28.320. Die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher.

Je länger sich die Vorverhandlung gegen die Seenotretter zieht, desto mehr Kosten entstehen für die Angeklagten. Mit jenen aus dem Jahr 2023 würden sicher 400.000 Euro erreicht, rechnet Girke vor. Das meiste entfalle auf Anwaltsgehälter, Reisen, Unterkunft und Verpflegung. Finanziert werde dies hauptsächlich aus Spenden. Sollte es zu einer Hauptverhandlung kommen, rechnet der Potsdamer damit, dass sich diese mindestens drei weitere Jahre hinziehen wird.

Girke fürchtet auch, dass die Vorverhandlung mit den neu anberaumten Terminen politisch vereinnahmt werden wird. Die Entscheidung des Richters dürfte genau in den Wahlkampf zur Europawahl fallen, die Anfang Juni stattfindet.