Russland wegen Menschenrechtsverstößen auf der Krim verurteilt

Seit der Besetzung der Krim 2014 missachtet Moskau systematisch internationale Rechte, um seine Macht durchzusetzen: Zu diesem Urteil kommt der Menschenrechtsgerichtshof. Auch das wird Russland voraussichtlich ignorieren.

Russland hat nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zahlreiche Menschenrechtsverletzungen in der besetzten Krim begangen. In der am Dienstag veröffentlichten Entscheidung stellte die Große Kammer in Straßburg Verstöße unter anderem gegen das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit, faire Gerichtsverfahren, Religions- und Medienfreiheit sowie gegen das Verbot von Misshandlung, willkürlicher Bestrafung und Diskriminierung fest. Nach den vorliegenden Beweisen stehe es außer Zweifel, dass “ein Muster oder System von Verstößen” vorliege, sagten die Richter.

Russland hatte die Autonome Republik Krim und die Stadt Sewastopol im Frühjahr 2014 völkerrechtswidrig besetzt und annektiert. Der Gerichtshof betonte, die Menschenrechtsverletzungen stünden im Kontext einer vollumfänglichen Anwendung russischen Rechts in der besetzten Krim; auch dies stelle einen Bruch des Völkerrechts dar. Weiter habe Russland das Strafrecht missbraucht, um die Opposition auf der Krim niederzuschlagen. Nach Auskunft des Gerichts weigerten sich russische Behörden, bei der Untersuchung der Vorwürfe mitzuarbeiten. Die Frage einer Entschädigung ist laut Urteil noch offen.

Hinsichtlich der Religionsfreiheit fand das Gericht Vorwürfe bestätigt, nach denen Geistliche, die nicht der Linie des Russischen Patriarchats folgten, bedrängt und eingeschüchtert wurden. Dies habe besonders ukrainisch-orthodoxe Priester und muslimische Imame betroffen. Kirchen seien beschlagnahmt, geschlossen oder gestürmt worden, mehrere Koranschulen durchsucht, eine Moschee angezündet und ein islamischer Friedhof beschädigt. 23 türkischen Imamen und einem katholischen Priester wurde laut Gericht der Aufenthaltsstatus entzogen.

Die Beschwerden vor dem Gerichtshof in Straßburg bezogen sich auf Menschenrechtsverletzungen in der von Russland kontrollierten Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol – es ging nicht um die völkerrechtliche Frage der Annexion selbst. Die Ukraine hatte vor dem Gerichtshof geltend gemacht, Moskau habe im Rahmen seiner Machtausübung zahlreiche Menschenrechtsverstöße in Justiz und Verwaltung begangen und Ukrainer systematisch unterdrückt.

Konkret warf Kiew den russischen Besatzern das Verschwindenlassen von Personen, rechtswidrige Inhaftierungen und Misshandlungen vor. Ukrainische Medien und die ukrainische Sprache seien unterdrückt, Inhaftierte von der Krim in abgelegene Gefängnisse in Russland verlegt worden. Außerdem sei es seit Anfang 2014 zu rechtswidrigem Freiheitsentzug, Verfolgung und Verurteilung von Ukrainern wegen ihrer politischen Haltung gekommen.

Wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine wurde die Russische Föderation am 16. März 2022 aus dem Europarat ausgeschlossen. Dennoch ist der Staat verpflichtet, den Entscheidungen des Straßburger Gerichtshofs zu solchen Menschenrechtsverstößen nachzukommen, die bis zum 16. September 2022 begangen wurden. Seit 2023 setzte Russland keine Urteile mehr um. Ende 2023 waren 19 zwischenstaatliche Verfahren vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof anhängig, acht davon betrafen Russland.