Von angeblichen Nato-Soldaten an der ukrainischen Grenze bis zu gefälschten Stimmzetteln: Vor den anstehenden Parlamentswahlen in der Republik Moldau kennt die prorussische Manipulation kaum Grenzen.
Mit eindringlichen Worten wandte sich Maia Sandu, Präsidentin der Republik Moldau, Anfang September an die Abgeordneten des EU-Parlaments: “Moldau kann sich seiner geografischen Lage nicht entziehen. Wir spüren den langen Arm der russischen Aggression.” Das Land hat eine 2.000 Kilometer lange Grenze zur Ukraine und ist damit näher am Kriegsgeschehen als jedes andere europäische Land.
Deshalb sei Moldaus Weg nach Europa nicht nur eine Frage der Werte. “Er ist eine Frage des Überlebens. Und gerade weil wir auf diesem Weg große Fortschritte gemacht haben, hat Russland sein gesamtes Arsenal an hybriden Angriffen gegen uns eingesetzt. Das Schlachtfeld sind unsere Wahlen”, so Sandu weiter.
In der Tat ist der kommende Sonntag, wenn die moldauische Bevölkerung ihr Parlament wählt, eine Weichenstellung für das Land. Bleibt es auf dem Kurs Richtung EU-Mitgliedschaft, für den sich Sandus sozialliberale PAS-Partei einsetzt? Oder gewinnen pro-russische Parteien an Einfluss? Der hybride Krieg, mit dem diese eine EU-Annäherung zu verhindern suchen, findet maßgeblich in den Medien statt. Im Fernsehen, im Radio, aber vor allem auch online – auf Tiktok, Facebook, Telegram.
Das “Unabhängige Journalismus Zentrum” mit Sitz in Chisinau, Moldaus Hauptstadt, beaufsichtigt seit 20 Jahren die Berichterstattung in Zeiten von Wahlen und durchforstet dafür auch Social Media. “Posts mit anti-europäisches Narrativen haben noch mal extrem zugenommen”, sagt Geschäftsführerin Nadine Gogu. So heiße es beispielsweise, LGBTQ-Bildung würde in Schulpläne aufgenommen, wenn Moldau der EU beitrete, oder das Land würde atheistisch werden, so die Journalistin.
Einer jüngsten Studie des Zentrums zufolge werden manipulative, pro-russische Narrative am häufigsten in Form von Video-Kurznachrichten verbreitet. Auf der Plattform X kursiert ein KI-generiertes Video einer angeblichen Wahlhelferin. Sie behauptet, gezwungen worden zu sein, in die bevorstehenden Wahlen einzugreifen – auf “direkten Befehl der Regierung und von Maia Sandu.” Es folgen Bilder vermeintlich vorgedruckter Stimmzettel, auf denen bereits Sandus PAS-Partei angekreuzt ist.
Auch die Kriegsangst in der moldauischen Bevölkerung wird mit Falschnachrichten geschürt: Auf mehreren Online-Portalen sowie über anonyme Telegram- oder Tiktok-Kanäle wird verbreitet, am Vorabend der Wahlen würden bis zu 800 Nato-Soldaten in der Republik Moldau eintreffen, “um die PAS-Regierung im Fall eines ungünstigen Wahlergebnisses zu unterstützen”. Moldaus Verteidigungsministerium wies dieses Szenario gegenüber Faktenprüfern entschieden zurück.
Der unabhängige Think Tank WatchDog.md analysiert derweil immer mehr russische Desinformationsversuche. Bis zu 100 wiederkehrende Narrative haben WatchDog-Mitbegründer und Analyst Andrei Curararu und sein Team gezählt. Unter Tausenden von Beiträgen und Videos versuchen Curararu und sein Team jene zu identifizieren, die viral gehen, also in kürzester Zeit extrem häufig aufgerufen werden und viele Interaktionen erzeugen. “Wir speichern sie und versuchen sicherzustellen, dass sie, sobald sie an die breite Öffentlichkeit gelangen, zumindest mit einem faktenbasierten Kommentar versehen sind”, so der Politologe.
Doch die Welle an Desinformation sei so massiv, dass sie nur bedingt dagegenhalten könnten – zumal das ein teures Unterfangen sei. Laut dem Nationalen Sicherheitsrat Moldaus sind bereits geschätzte 90 bis 100 Millionen Dollar aus Russland Richtung Moldau geflossen, um durch Propaganda und Stimmenkauf das Wahlergebnis zu beeinflussen.
Und die EU? Die Präsenz europäischer Spitzenpolitiker war zuletzt groß in dem osteuropäischen Land. Als es am 27. August den Jahrestag seiner Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 feierte, kamen etwa Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Polens Staatschef Donald Tusk, um für die EU zu werben.
“Wir sehen ein starkes Engagement, lokale Initiativen hier zu finanzieren, die gegen Desinformation kämpfen”, sagt Curararu. Er ist an der Entwicklung von Sicherheitsstrategien in Zusammenarbeit mit der Regierung Moldaus beteiligt. Die Experten aus der EU helfen der Regierung auch bei den Verhandlungen mit den Sozialen Netzwerken, um die Welle der Desinformation einzudämmen.
Auf Nachfrage bei der EU-Kommission heißt es: Auf Ersuchen Moldaus habe die EU im April die ersten Krisenreaktionsteams entsandt, um das Land bei der “Gewährleistung der Integrität der Wahlprozesse” zu unterstützen. Die Reaktionsteams leisten demnach vorübergehende Hilfe in Sachen Cybersicherheit, Bekämpfung hybrider Bedrohungen und Desinformation.
“Ein Partner, die EU, unterstützt uns mit Geldern für den Straßenbau, schafft Arbeitsplätze, hilft Unternehmen zur Steigerung ihrer Exporte in die EU”, bilanziert Curararu – “während ein anderer Partner, Russland, uns ins Chaos stürzt. So schwarz-weiß ist die Lage.”