Russische Autorin mit Geschwister-Scholl-Preis geehrt

Die russische Journalistin Katerina Gordeeva ist am Dienstagabend in München mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet worden. Sie wurde für ihr Buch „Nimm meinen Schmerz. Geschichten aus dem Krieg“ geehrt, in dem sie 24 Überlebende des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine porträtierte. Sie wünsche sich, dass dieses Buch nie geschrieben worden wäre, sagte Gordeeva in ihrer Dankesrede laut Manuskript. Denn das würde bedeuten, dass Russland den Krieg gegen die Ukraine nie begonnen hätte. „Und das hätte bedeutet, dass diese zehn Jahre der Straflosigkeit, der Böswilligkeit und der Geringschätzung des menschlichen Lebens nie stattgefunden hätten.“

Sie sei nahe der ukrainischen Grenze geboren, sagte Gordeeva, die im litauischen Exil lebt. Einen Großteil ihrer Kindheit habe sie an sonnigen, faszinierende Orten wie Mariupol oder Cherson verbracht. „Der Schmerz, die Trauer, der Tod und das Leid, die der Krieg Hunderttausenden von Menschen brachte, wurde auch zu meinem Schmerz.“ Sie wolle ihre Dankesrede daher auch nutzen, um die Ukrainer um Vergebung zu bitten. „Bitte, vergebt uns eines fernen Tages, wann und wie Ihr es könnt.“ Nicht ganz Russland habe sich dem „Wahnsinn“ ergeben. Es gebe Menschen, die Widerstand leisten.

Die Journalistin und Osteuropa-Expertin Alice Bota sagte in ihrer Laudatio laut Redemanuskript, dass in Gordeevas Buch vor allem Ukrainerinnen erzählten. Denn die Frauen seien geflohen, während ihre Männer zurückbleiben mussten, um zu kämpfen. Der Ton, den Gordeeva anschlage, sei empathisch, aber nicht kitschig, schonungslos und doch warm. „Sie bleibt die ganze Zeit anwesend: als Filmemacherin, als Autorin und vor allem als Russin, die Verantwortung trägt.“ Doch dürfe eine Russin aber überhaupt über das Leid schreiben, das Ukrainerinnen und Ukrainer in diesem Krieg erleiden, fragte Bota.

Die Antwort auf diese Frage gäben die Interviewten selbst, sagte Bota. „Und diese Frauen finden: Katerina Gordeeva darf. Sie reden mit ihr. Sie, die Ukrainerinnen, erzählen ihr, der Russin, von sich. Und sie schonen Gordeeva nicht.“ Klaus Füreder, Vorsitzender des Landesverbands Bayern des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, sagte laut Manuskript, dass Gordeevas Buch ein einzigartiges und überwältigendes Dokument über die Geschichte des Menschen im Krieg sei. Sie habe den traumatisierten Opfern einen Teil ihres Schmerzes genommen.

Die Jury begründete ihre Entscheidung für Gordeeva damit, dass in ihrem „auch literarisch sehr beeindruckenden Buch“ die Stimmen der Betroffenen im Vordergrund stünden. Gordeeva protokolliere in langen Passagen direkter Rede deren Erleben. Sie zeige sich in dem Buch aber auch selbst und ihre schwierige Rolle als Reporterin, die selbst aus dem Land stammt, das Krieg und Leid über ihre Gesprächspartner gebracht hat – die Interviews hat Gordeeva auf Russisch geführt, „für viele Gegenüber die kaum noch zu ertragende Sprache des Aggressors“.

Gordeeva wurde 1977 im russischen Rostow am Don geboren. Vor allem durch ihre Dokumentarfilme und Fernsehsendungen wurde sie zu einer der bekanntesten Journalistinnen Russlands. Nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 ging sie ins Exil. Die russische Regierung bezeichnet sie als „Ausländische Agentin“, weil sie weiter Dokumentationen vor allem über ihren Youtube-Kanal veröffentlicht. Einen Film aus dem ersten Kriegsjahr 2022 über Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, hat sie zu ihrem nun preisgekrönten Buch „Nimm meinen Schmerz“ ausgebaut.

Der mit 10.000 Euro dotierte Geschwister-Scholl-Preis wird seit 1980 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels – Landesverband Bayern verliehen. Der Preis will Bücher würdigen, die von geistiger Unabhängigkeit zeugen und bürgerliche Freiheit fördern. (00/3750/26.11.204)