Rüstzeit in Polen: Erschreckende Spuren

Im Oktober 2023 setzten sich 30 Soldatinnen, Soldaten und Zivilangestellte der Marinetechnikschule Parow mit der deutsch-polnischen Geschichte auseinander. Der evangelische Militärpfarrer Carsten Süberkrüb fuhr mit ihnen nach Krakau.

Die Bahnschienen führen ins ehemalige Vernichtungslager Auschwitz.
Die Bahnschienen führen ins ehemalige Vernichtungslager Auschwitz.Carsten Süberkrüb

Für viele war es das erste Mal in Krakau, und so war die Spannung groß. Ein volles Programm erwartete die Teilnehmenden. Belastende Programmpunkte wie der Besuch des jüdischen Gettos, der Emaille-Fabrik von Oskar Schindler wie auch des Vernichtungslagers Auschwitz wechselten mit erfreulichen Programmpunkten wie beispielsweise dem Besuch eines jüdischen Restaurants mit klassischem jüdischem Menü und Live-Klezmer-Musik.

Gerade in Krakau bekommt Geschichte ein Gesicht, und viele der Teilnehmeneden mussten feststellen, dass sie bisher noch nicht so tief in die Geschichte der deutsch-polnischen Vergangenheit eingetaucht waren.

Der erste Tag begann mit einer intensiven Stadtführung, in welcher uns die großartige Stadt in allen Facetten vorgestellt wurde. Das moderne Polen überraschte uns an allen Ecken: Lebendige und kreative Momente wechselten einander ab. Das ehemalige jüdische Viertel Kazimierz, heute ein Künstlerquartier, die Originalschauplätze des Filmes „Schindlers Liste“. Der Besuch des Wawel, des Schlosshügels über Krakau. Der grandiose Marktplatz mit der Markthalle … Es stimmt tatsächlich, was im Internet über diese Stadt geschrieben steht: jung, modern und lebensfroh.

„Fassungslos standen wir vor den Baracken“

Dann dagegen: Unvorstellbar, wie perfide und abartig sich unsere Vorfahren, die im Gedankengut der arischen Überlegenheit ihrer Rasse lebten, sich vor mehr als achtzig Jahren gegenüber ihren Mitmenschen verhalten haben. Beim Besuch des jüdischen Gettos, der Apotheke am Sammelplatz des Gettos, aber auch des Emaille-Museums von Oskar Schindler wurde uns deutlich, was in dieser Stadt an dunkler Geschichte zu finden ist.

Eindrücklich wurde uns das vermittelt. Die Mauer um das jüdische Getto wurde in Form von jüdischen Grabsteinen gestaltet, um die Menschen, die hinter diesen Mauern leben mussten, an ihren Tod zu erinnern, den sie von den Besatzern zu erwarten hatten. In der Fabrik von Oskar Schindler wurden wir erinnert, wie lebensgefährlich es war, sich gegen diese Besatzung zu wehren. Trauriger Höhepunkt: der Besuch des Vernichtungslagers Auschwitz. Fassungslos standen wir vor den Gaskammern, den Baracken, die wie Viehställe aufgebaut waren, um Menschen zusammenzupferchen, die der Vernichtung zugeführt werden sollten.

Wir haben uns immer wieder gefragt, was sich unsere Vorfahren dabei gedacht haben, dass ihnen der letzte Hauch von Mitmenschlichkeit abhandengekommen war. In alledem wurde aber auch deutlich, dass es hier nichts zu beschönigen, dass es auch nichts zu entschuldigen gibt, von wegen „Gnade der späten Geburt“ oder andere Verharmlosungen. Unsere Vorfahren haben ihre erschreckenden Spuren hinterlassen. Umso schöner ist es dann zu erleben, dass wir in unserem heutigen Europa so versöhnlich anders miteinander umgehen können. Gerade die Älteren unter uns haben sehr genossen, dass Europa heute so anders aussieht. Und dass es möglich ist, im Frieden zwischen Deutschland und Polen eine neue Zukunft miteinander aufzubauen.

Unser Autor
Carsten Süberkrüb ist Militärpfarrer im Militärpfarramt Kramerhof bei Stralsund.