Rolle früherer Bundespräsidenten während der NS-Zeit untersucht

Die Bundespräsidenten der frühen Bundesrepublik waren maßgeblich an der Art der NS-Erinnerungskultur beteiligt. Dabei hat auch ihre eigene Biografie eine Rolle gespielt, wie nun eine historische Untersuchung zeigt.

Die persönliche Biografie und die gesellschaftlichen Entwicklungen haben sich nach Erkenntnissen des Jenaer Historikers Norbert Frei unterschiedlich stark auf die Amtsführung der ersten Bundespräsidenten ausgewirkt. Es wäre eine Überzeichnung, „in den Präsidenten der Bonner Republik von ihrer persönlichen Geschichte gänzlich abstrahierende und von der gesellschaftlichen Entwicklung völlig unbeirrbare Promotoren der zeitgeschichtlichen Aufklärung sehen zu wollen“, sagte Frei am Mittwoch in Berlin.

Dort wurden die Ergebnisse eines Forschungsprojektes zur NS-Vergangenheit der Bundespräsidenten und des Bundespräsidialamtes vorgestellt. „Aber deutlich ist zugleich, dass sie sich in unterschiedlicher Rigorosität der Gegenaufklärung verweigerten“, ergänzte Frei.

Seit Sommer 2020 untersucht ein Forscherteam um Frei den Umgang der Bundespräsidenten und des Bundespräsidialamtes mit dem Nationalsozialismus. Die Untersuchung bezieht sich auf die Zeit von 1949 bis 1994, also die Amtszeit der Bundespräsidenten Heuss, Lübke, Heinemann, Scheel, Carstens und von Weizsäcker. Spätere Bundespräsidenten waren in der Nazi-Zeit noch nicht geboren oder erlebten sie als Kinder.

Der Rolle des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss komme eine Schlüsselfunktion zu. „Vieles von dem, was man damals ‚Vergangenheitsbewältigung‘ nannte und was wir heute als Erinnerungskultur bezeichnen, geht auf die Reden und das Wirken von Theodor Heuss zurück“, betonte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er hatte das Forschungsprojekt vor drei Jahren initiiert. Frei beschreibt die Amtszeit des ersten Bundespräsidenten unter dem Titel „Normsetzendes Gedenken“.

Heuss habe den Volkstrauertag im November 1952 dafür genutzt, im Bundestag nicht nur der deutschen Kriegstoten, sondern ausdrücklich der ermordeten Juden und KZ-Opfer zu gedenken. Als Heuss bei der Eröffnung der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen gesagt habe „Wir haben von den Dingen gewusst“, sei das für viele eine Provokation gewesen, unterstrich Steinmeier.

Auch der zweite Bundespräsident Heinrich Lübke, dessen Amtszeit Frei unter dem Titel „Kontinuität und Krise“ zusammenfasst, sei auf den Spuren von Heuss geblieben. Lübke war von den Nazis für mehr als eineinhalb Jahre inhaftiert worden und traf als Bundespräsident manche Entscheidung, „die man angesichts des Zeitgeistes der frühen 1960er Jahre so nicht vermutet hätte“, sagte Steinmeier.

Lübke verweigerte etwa dem Juristen Carl Creifelds wegen seiner früheren Tätigkeit im Reichsjustizministerium die Ernennung zum Bundesrichter. Er forderte zudem vom Vorstand der IG Farben, Heinrich Bütefisch, das Bundesverdienstkreuz zurück, nachdem dessen Verurteilung als NS-Kriegsverbrecher bekannt geworden war.

Frei erinnerte an die Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Jahr 1985, als er den Tag des Kriegsendes am 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung“ bezeichnete. „Die Ambivalenz, mit der Richard von Weizsäcker in seiner Rede am 8. Mai 1985 einerseits die Autorität des Zeitzeugen in Anspruch nahm, andererseits aber seine persönlichen Erfahrungen weitgehend beschwieg, unterschied ihn nicht von Carstens oder Scheel, die ebenfalls Wehrmachtsuniform getragen hatten, und auch nicht von den älteren Vorgängern im Amt“, resümierte Frei. Was von Weizsäckers Ansprache Autorität verliehen habe, sei die Haltung gewesen, in der er zu sprechen verstanden habe.