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Regierungswechsel – In Tschechien hat der Kulturkampf begonnen

Dieser Regierungswechsel steht für eine politische Richtungsänderung: Andrej Babis setzt auf konservative Werte und klare Kante gegen Brüssel. Das hat Folgen – für Tschechien und für Europa.

Populist, Milliardär, Pragmatiker: In Tschechien beginnt mit der Rückkehr von Andrej Babis (71) als Ministerpräsident eine neue politische Zeitrechnung. Am Montag soll auch sein Kabinett vereidigt werden. Dann übernimmt in Prag eine Koalition aus Babis’ Protestbewegung ANO, der umstrittenen Autofahrerpartei Motoriste sobe (“Autofahrer unter sich”) und der rechtsextremen Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD). Was erwartet Tschechien unter dem Brüssel- und Ukraine-skeptischen Regierungsteam, das die Asyl- und Umweltpolitik der EU ablehnt?

Bei der Parlamentswahl Anfang Oktober war es Babis – bereits von 2017 bis 2021 Ministerpräsident – gelungen, jede dritte Stimme für seine Protestbewegung ANO zu holen (34,5 Prozent). Sie gewann die Parlamentswahl mit einer populistischen Polterkampagne. Im Gegensatz zu der proeuropäischen Mitte-Rechts-Regierung, die sich auf den Ukraine-Krieg und Europas Sicherheit fokussierte, setzte Babis auf Kampfansagen gegen die Teuerung. Zu seinen Wahlkampfauftritten gehörten zudem Blechkuchen und kostenlose Gesundheitschecks.

Auch im vorgelegten Regierungsprogramm setzt die Dreierkoalition auf Sozialausgaben. Trotzdem sieht Jan Bierhanzl, Forscher für Politische Philosophie an der Karlsuniversität Prag, das Regierungsprogramm skeptisch: “Einerseits soll das Renteneintrittsalter wieder auf 65 Jahre gesenkt, wieder ein Rentenindex eingeführt und die Gehälter von Lehrern erhöht werden. Andererseits ist keine Reform des Steuersystems vorgesehen, das in Tschechien ungerechterweise Geringverdiener hoch besteuert.”

Der neue Regierungschef Babis zählt zu den zehn reichsten Tschechen. Sein Agrarkonzern Agrofert, dessen Anteile er nun abgeben muss, um einen Interessenskonflikt zu vermeiden, hat ihn zum Milliardär gemacht. Für Unternehmen kündigte sein Regierungsteam zahlreiche Erleichterungen an. Nicht nur deshalb nennen ihn Beobachter den “tschechischen Trump”. Auch ideologisch verbindet Babis einiges mit dem US-Präsidenten – wobei etliche Politikexperten überzeugt sind: Babis ist ein politisches Chamäleon. Aktuell komme eben der konservative Kurs gut bei Wählern an.

Dazu erklärt Jakub Jinek, Dozent an der Katholisch-theologischen Fakultät der Karlsuniversität: “Aus ethischer Sicht kann das neue Koalitionsprogramm als Reaktion interpretiert werden auf die Sorge über die moralischen und sozialen Verwerfungen der vorangegangenen Ära. Die Entwicklung nimmt Abstand von Progressivismus und Wokeismus und wendet sich Werten und Prinzipien zu, die stärker mit der katholischen Tradition übereinstimmen.”

Ähnlich wie im Nachbarland Slowakei zieht sich ein Riss durch Tschechiens Gesellschaft – und teilt sie in ein progressiv-liberales und ein konservatives Lager. Sichtbar wurde die Trennung, als der tschechische Kardinal Dominik Duka im September in Prag eine Gedenkmesse für den ermordeten fundamentalistischen US-Influencer Charlie Kirk feierte. Demonstranten warfen dem Kardinal angesichts Kirks politischer Ansichten eine “Schande” vor.

Anfang November ist Duka mit 82 Jahren verstorben: ein Tod, der laut Uniprofessor Jinek in Zusammenhang mit den ideologischen Kämpfen stehen könnte. So sei der Kardinal Opfer einer “sehr aggressiven Politkampagne” geworden, die “seinen Ärzten zufolge maßgeblich zur Verschlechterung seiner Gesundheit beigetragen hat”. Auch weist Jinek Vorwürfe zurück, wonach Tschechiens katholische Kirche zunehmend rechtsnationalistisch auftrete.

Zum Schauplatz der ideologischen Grabenkämpfe wurden in den vergangenen Jahren vor allem Tschechiens Universitäten. So widerspricht Politphilosoph Bierhanzl mit Blick auf die katholische Kirche, die ihm zufolge unter Duka “stark nach rechts politisiert wurde”. Auch was die künftige Regierung angeht, driften die Ansichten auseinander – etwa bei den Themen Umwelt, Migration und Ukraine.

Babis betrachtet den dahingehenden EU-Kurs als überbordend. Er kündigte an, den “Wahnsinn aus Brüssel” stoppen zu wollen. Mit den Autofahrern und der SPD hat er Koalitionspartner gefunden, die für Verbrennungsmotoren lobbyieren und mit rassistischen Wahlplakaten Stimmung machen. Die staatliche Rüstungshilfe für die Ukraine will Babis streichen. Diese Woche warnte Staatspräsident Petr Pavel vor diesem Schritt, der die Kooperation mit Kiew nachhaltig verschlechtern dürfte.

Trotzdem will Jinek keine Gefahr für Geflüchtete erkennen: “Angesichts der Tatsache, dass die Tschechische Republik die höchste Anzahl ukrainischer Flüchtlinge pro Kopf in Europa beherbergt, widerlegt dies jegliche Vermutung, dass die Koalition generell migrations- oder ukrainefeindlich sei.”

Bierhanzl hingegen bereitet die “defensive, isolationistische Ablehnung von Migration und Klimaschutzmaßnahmen” der neuen Regierung schon jetzt Kopfzerbrechen. Er und andere Beobachter bekunden die Sorge, dass sich Babis ein Beispiel an den Nachbarn Ungarn und Slowakei nehmen könnte. Dort ist der Spielraum für Nichtregierungsorganisationen, Medien, Minderheiten und Andersdenkende in den vergangenen Monaten drastisch geschrumpft.