Reformationstag: Die ewige Baustelle
Geborgenheit und Aufbruch, Neustart und Tradition – die Kirche muss sich ständig verändern. Und das kann sie auch. Unsere Autorin Karin Ilgenfritz mit einem Beitrag zum Reformationstag.
Gottesdienst. Die Orgel begleitet die vertrauten Choräle. Eine Bekannte aus der Nachbarschaft liest das Evangelium. Der Pfarrer predigt. Das Vaterunser. Noch immer ist das für viele Menschen eine vertraute Atmosphäre. Sie fühlen sich in „ihrer“ Kirche zu Hause.
Das merkt man spätestens dann, wenn man woanders im Gottesdienst ist. Im Urlaub. Oder bei Festen wie Taufe, Kommunion, Konfirmation oder Hochzeit in einer anderen Gemeinde. Katholische Messe: Stehen, sitzen, knien? Freikirchlicher Gottesdienst: Huch, die Menschen strecken die Hände zur Decke. Aber: Das muss nicht schlimm sein. Das Neue kann spannend und bereichernd sein. Und am Ende fühlt man sich in der eigenen Gemeinde möglicherweise wieder umso wohler.
Luther hat Missstände beim Namen genannt
Was aber tun, wenn man sich in „seiner“ Kirche nicht mehr wohl fühlt? Vor gut 500 Jahren ging es Martin Luther so. Er kam mit seiner Kirche einfach nicht mehr klar. Manchmal konnte er darüber Gott und die Welt nicht mehr verstehen. Aber Martin Luther ist nicht weggelaufen. Er hat die Missstände beim Namen genannt. Aus tiefstem Herzen hoffte er, dass sich seine Kirche zum Guten ändern würde.
Auch heute stehen wieder Veränderungen an. Bei der Kirche. Beim Gottesdienst. Aber wohin? In welche Richtung? Darüber wird gestritten und gerungen. Vielleicht hilft auch hier der Blick auf Martin Luther. Eine zentrale Botschaft der Reformation war die Freiheit. Die Freiheit, zu glauben, was einem einleuchtet – nicht, was andere vorschreiben. Die Freiheit, Gottesdienste zu gestalten.
Freiheit erlaubt, was zum Guten dient
Freiheit drängt auf Veränderung. Zur Freiheit gehört aber auch, andere Meinungen zu akzeptieren. Orgel oder Gitarre? Gottesdienst am Sonntagmorgen oder Video-Andacht am Mittwochabend? „Alles ist erlaubt“, sagt Paulus im 1. Korintherbrief, „aber nicht alles dient zum Guten.“ Was also ist das Gute, das Richtige? Wie sieht der Gottesdienst der Zukunft aus?
Freiheit heißt: Es gibt keine Denkverbote. Ausprobieren kann man vieles. Aber zur Freiheit zählt auch der Respekt vor der Haltung und dem Empfinden derer, die die Dinge anders sehen. Und das macht die Sache so schwer: Was für die einen vertrauter Gottesdienst und Zuhause ist, erscheint den anderen als altbacken oder langweilig.
Veränderung muss sein
Wohin geht die Reise? Das kann man beim besten Willen nicht vorhersagen. Nie im Leben hätte sich etwa Martin Luther träumen lassen, dass am Ende seiner Reformations-Bestrebungen eine geteilte Kirche stehen würde. Manchmal laufen die Dinge ganz anders, als man es sich hätte vorstellen können. Veränderung muss sein. Und sie wird sein. Aber wie, wann und wohin, das weiß Gott allein.