Rechtsextremer oder Mitte-Peronist? Argentinien vor der Stichwahl

Selten stand bei einer Präsidentschaftswahl in Argentinien so viel auf dem Spiel wie jetzt. Am kommenden Sonntag wird sich entscheiden, ob der moderate Peronist Sergio Massa (51) oder der ultraliberale Rechtsextremist Javier Milei (53) im Dezember in den Präsidentenpalast Casa Rosada einziehen wird. Umfragen zufolge ist mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen zu rechnen.

Im ersten Wahlgang am 22. Oktober hatte sich Massa mit 36,7 Prozent überraschend klar gegen Milei (30 Prozent) durchgesetzt – obwohl er als amtierender Wirtschaftsminister für eine Inflation von 143 Prozent und die steigende Armut im südamerikanischen Land mitverantwortlich ist. Der unpopuläre Staatschef Alberto Fernández trat gar nicht erst an.

Axel Kicillof, der peronistische Gouverneur in der bevölkerungsreichsten Provinz Buenos Aires, schaffte seine Wiederwahl hingegen souverän, auch dank einer treuen Wählerbasis. In den beiden Kammern des Parlaments stellen die Peronisten ebenfalls die jeweils deutlich größte Fraktion. Was macht die Langlebigkeit und Stärke der 1945 entstandenen und nach Juan Domingo Perón (1895-1974) benannten Bewegung aus?

Als Gründer des argentinischen Wohlfahrtsstaates war der Militär und Mussolini-Verehrer Perón selbst eine der bekanntesten charismatischen Führungsfiguren Lateinamerikas. Seine erste Frau Evita, die aus einfachen Verhältnissen zur schillernden und in der Oberschicht verhassten Präsidentengattin aufstieg, starb 33-jährig an Krebs. Nicht nur ein Musical und ein Film halten ihre Erinnerung aufrecht.

Perón selbst war an mehreren Putschen beteiligt, wurde 1946 erstmals und 1951 ein zweites Mal zum Präsidenten gewählt, 1955 wiederum von putschenden Militärs ins Exil getrieben und nach seiner Rückkehr 1973 erneut Staatschef. Nach seinem Tod stürzte das Land ins Chaos, unter seiner zweiten Frau Isabel bekämpften rechte Todesschwadronen linksperonistische Guerilleros und andere Oppositionelle. 1976 bis 1983 herrschte ein brutales Militärregime.

In den seither 40 Jahren Demokratie regierten Peronisten insgesamt 28 Jahre lang, darunter der neoliberale Privatisierer Carlos Menem (1989-99) und das progressive Ehepaar Néstor Kirchner (2003-07) und Cristina Fernández de Kirchner (2007-15), wichtige Akteure des südamerikanischen Linksrucks jener Jahre.

Diese Namen symbolisieren auch die ideologische Spannbreite der Bewegung. In vielen Provinzen Argentiniens gerieren sich peronistische Gouverneure wie feudale Alleinherrscher, auch die meisten Gewerkschaften sind peronistisch. Vetternwirtschaft und Korruption sind keine Seltenheit, Volksnähe und ein unbedingter Wille zur Macht die Regel.

Sergio Massa selbst ist das Paradebeispiel eines wendigen und machtbewussten Politikers. Seine Amtszeit als Bürgermeister der wohlhabenden Stadt Tigre unterbrach er für ein Jahr, als ihn Cristina Fernández zum Kabinettschef ernannte. Bald kam es zum Bruch, 2015 trat er als unabhängiger Mitte-Politiker gegen den peronistischen Kandidaten zur Präsidentenwahl an.

Vier Jahre später kokettierte er mit einer weiteren eigenen Präsidentschaftskandidatur, kehrte dann zu den Peronisten zurück, wurde Präsident des Abgeordnetenhauses und schließlich 2023 als Schwergewicht der Regierung zum Kandidaten des peronistischen Wahlbündnisses „Union für das Vaterland“ erkoren.

Ihm gegenüber steht ein irrlichternder Senkrechtstarter, der ultraliberale Ökonom Javier Milei. Der Bewunderer von Donald Trump will staatliche Funktionen, etwa im Renten-, Bildungs- oder Forschungssystem, radikal zusammenstreichen. Als Ausweg aus der Wirtschaftskrise will er den US-Dollar als Landeswährung einführen und „den Kirchnerismus vernichten“.

Massa verteidigt den Sozialstaat, die Menschenrechte und eine multilaterale Außenpolitik, pflegt aber auch beste Beziehungen zu Unternehmern und den USA. Das TV-Duell am Sonntag gewann er klar. Dennoch bleibt es spannend, denn Teile der liberalkonservativen Opposition, die im Oktober nur auf Platz drei landete, haben sich mit Milei verbündet. Ihr gemeinsamer Nenner: der Antiperonismus.