Rassismus in der Mitte der ­Gesellschaft

„Um Teil des Problems zu sein, muss man kein Nazi sein.“ Ein Kommentar zu rassistischen Strukturen und den jüngsten Übergriffen in Brandenburg.

Symbolfoto: Eine Schulklasse während des Unterrichts
Symbolfoto: Eine Schulklasse während des UnterrichtsGrafik: PD/CDC

In der Nacht vom 6. auf den 7. Mai wurden in Heidesee in einem Ferienlager in Brandenburg Schülerinnen und Schüler von Jugend­lichen rassistisch angegriffen. Nur wenige Tage zuvor prangerten Lehrkräfte rechte Vorfälle an ihrer Schule in Burg an. Sie beklagten, sie seien täglich mit Rechtsextremismus, ­Sexismus und Homophobie konfrontiert. Regelmäßig werde der Hitlergruß gezeigt, Schulbänke mit Hakenkreuzen beschmiert, Mitschüler*innen attackiert. Für Lukas Pellio keine Einzelfälle.

Als der Brandbrief der beiden Lehrer*innen zu extrem rechten Zuständen an ihrer Schule öffentlich wird, geht das große Rätselraten los. „Meinst du, das ist unsere Schule in Spremberg? Passen würde es ja.“ „Nein, ich bin mir sicher, es geht um Guben.“ „Das muss Peitz sein.“

Schulen baden es aus

Der Brief kam aus Burg. Bis das herauskam, wurde klar, was eigentlich jede*r wissen konnte. Wir haben ein Problem mit faschistischen Strukturen, Rassismus und Homophobie nicht nur in Schulen, sondern auch im Mittelstand, in der Justiz und den Verwaltungen. An den flächendeckenden Erfolg einer faschistischen Partei wie der AfD haben wir uns fast schon gewöhnt.

Viele Lehrer*innen, mit denen ich gesprochen habe, sagen zu Recht: „Wir müssen an unseren Schulen gesamtgesellschaftliche Probleme ausbaden.“

Um Teil des Problems zu sein, muss man kein Nazi sein. Es reicht – wie Innenminister Michael Stübgen – immer noch von Einzelfällen zu sprechen und die Schuld einzelnen Schulsozialarbeiter*innen zuzuschieben. Rassismus und Rechtsextremismus müssen als Thema oberster Priorität verhandelt werden und staatliche und zivilgesellschaftliche Reaktionen müssen das Problem in seiner ganzen Tragweite angehen. Jahrzehntelange Verharmlosung hat dazu geführt, dass jetzt gefragt wird: „Sind die 1990er zurück?“

Extrem rechte Positionen sind normal geworden

Nein, die Baseballschlägerjahre, (in denen in den Nachwendejahren mit Drohungen und Hetzjagden in Ostdeutschland Hass, Rassismus und Gewalt besonders unter Jugendlichen aufbrachen und Straßen und Plätze der rechten Szene gehörten – die Redaktion) sind nicht zurück. Sie waren nie weg. Rechtsextremismus zeigt sich heute aber oft anders. Extrem rechte Positionen sind häufig normal geworden; nicht nur in Brandenburg oder Ostdeutschland. Der ­ehemalige ­Gesundheitsminister hat gerade in einer Talkshow die Genfer Flüchtlings­konvention und die Europäische Menschenrechtskonvention in ­Frage gestellt. Jens Spahn ­illustriert dabei nur, was Soziolog*innen seit langem feststellen: Rassismus, ­Homophobie, Antisemitismus sind nicht Probleme des rechten Randes, sondern wurzeln in der Mitte unserer Gesellschaft.

Lukas Pellio ist Pfarrer in Spremberg in der Lausitz
Lukas Pellio ist Pfarrer in Spremberg in der LausitzKnyazevatati

Für die Lausitz kann ich das genau sagen und ich bin mir sicher, dass wir damit kein Einzelfall sind: Extrem rechtes Gedankengut und faschistische Praktiken werden von Generation zu Generation weitergegeben. Diejenigen, die nachweislich Anfang der 1990er an Pogromen ­gegen Geflüchtete beteiligt waren, sind heute Teil des Mittelstandes. Sie haben erfolgreiche Unternehmen, sind Fußballtrainer, Sponsoren und Familienväter.

Als Gemeinde mittendrin

Wenn Faschismus nicht nur ein Problem von ein paar Jugendlichen ist, sondern in der Mitte unserer Gesellschaft wurzelt, heißt das auch, dass wir als Gemeinden nicht mehr am Spielfeldrand stehen, ­sondern mittendrin.

Nächstenliebe zu leben und der Stadt Bestes zu suchen, bedeutet für viele in unseren Spremberger Gemeinden, sich in den Dienst einer solidarischen und vielfältigen ­Gesellschaft zu stellen. Aus unseren Gemeinden heraus hat sich das Bündnis #unteilbar-Spremberg ­gegründet. Wir gestalten jeden Sommer einen bunten Marktplatztag, gedenken am 9. November der im Nationalsozialismus Verfolgten und bieten mit kleinen Veranstaltungen denjenigen einen Anlaufpunkt, die sich dafür einsetzen möchten, dass alle Menschen hier gut, sicher und glücklich leben ­können.

Als Kirche stärken wir dabei ­seelsorgerlich Betroffene rechter ­Gewalt und Menschen, die sich ihr aktiv widersetzen. Wir bringen ­unterschiedliche Menschen mit ähnlichen Zielen zusammen und wir bieten Räume, wo sich Menschen, die für eine solidarische und vielfältige Gesellschaft streiten, treffen können. Wir haben dabei viel zu gewinnen. Wir können zeigen, was für ­eine prophetische, weltverändernde Kraft in unserer biblischen ­Botschaft steckt.