“Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush”: TV-Premiere auf Arte

Überragendes und preisgekröntes Drama auf Arte über die Frau, die fünf Jahre für die Freilassung ihres Sohnes Murat Kurnaz aus dem US-Gefangenenlager Guantanamo kämpfte.

Die temperamentvolle Deutschtürkin Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) und ihr Mann Mehmet Kurnaz (Nazmi Kirik) sind ein glückliches Paar
Die temperamentvolle Deutschtürkin Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) und ihr Mann Mehmet Kurnaz (Nazmi Kirik) sind ein glückliches PaarArte / Shellac

Es ist Mittagszeit in einem Reihenhaus in Bremen. Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) ruft fröhlich ihre Kinder zu Tisch, doch im Zimmer ihres ältesten Sohnes Murat rührt sich nichts. Das Zimmer des 19-Jährigen ist leer. Als sie entdeckt, dass er sein Handy nicht mitgenommen hat, schwant ihr, dass Murat einen folgenreichen Entschluss gefasst haben muss.

Wenig später hat sie herausgefunden, dass Murat mit einem Freund auf dem Weg nach Pakistan ist. Mit einem Küchenmesser in der Handtasche und Murats Schwester im Schlepptau fährt sie in die Moschee, die Murat oft aufgesucht hat. Kaum ist Rabiye im Gebetsraum, schrumpft der konservative Imam unter ihrem Redeschwall zu einem kleinen Jungen. Der Zorn einer Mutter entlädt sich so raumgreifend, dass jeder Widerstand zwecklos erscheint.

Murat Kurnaz in Pakistan verhaftet

Einen Filmschnitt später rast die resolute Hausfrau mit ihrem Ehemann zur Bremer Polizei. Auf dem Revier wird man hellhörig. Erst vor ein paar Wochen haben die Attentäter des 11. September Passagiermaschinen in das World Trade Center gesteuert. Die USA stehen kurz vor dem Einmarsch in Afghanistan.

Zwei Monate später wird Murat Kurnaz in Pakistan verhaftet und gegen 3.000 Dollar Kopfgeld an US-Behörden übergeben, die Terrorverdächtige suchen. Er gibt zu Protokoll, dass er eine Koranschule besuchen wolle, um sich auf das Leben mit seiner Frau vorzubereiten, die aus der Türkei bald nach Deutschland kommen soll.

In Washington hoffen die Bremer Hausfrau Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) und ihr Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer) endlich herauszufinden, was mit Murat geschah
In Washington hoffen die Bremer Hausfrau Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) und ihr Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer) endlich herauszufinden, was mit Murat geschahArte / Shellac

Ohne Prozess wird Murat Kurnaz im Februar 2002 ins Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba geschafft. Journalisten belagern das Reihenhaus der Familie in Bremen. Sie berichten über Murat als “Bremer Taliban”. Rabiye weigert sich zu glauben, dass ihr Sohn etwas Böses getan habe. Sie geht aus tiefster Verzweiflung in einen Kampf um das Leben und die Freiheit ihres Sohnes. Dabei agiert sie direkt und couragiert.

Ein halbes Jahr ist Murat spurlos verschwunden, bis Rabiye das erste persönliche Lebenszeichen von ihm erhält. Mit seinem Brief aus “Camp X-Ray” wendet sie sich an den Bremer Rechtsanwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer). Obwohl längst Fotos von den auf Steinen knienden, in Käfigen gehaltenen Männern in orangen Overalls durch die Presse gehen, realisiert Rabiye noch nicht, was das für ihren Sohn bedeutet. Docke ist als Anwalt für Menschenrechte hingegen durchaus über die Lage der Gefangenen in Guantanamo im Bilde.

Ein Film mit feinen Antennen

Das Verhältnis zwischen dem Juristen und der Hausfrau hätte für den Film “Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush” leicht zur Klippe werden können. Doch die feinen Antennen der Drehbuchautorin Laila Stieler ermöglichen es, dass die komplementären Figuren durch ihre Unterschiede eine warmherzige, sich gegenseitig erhellende Kraft entfalten. Der hochgewachsene Jurist fügt sich mit seiner Zurückgenommenheit und Besonnenheit in den Raum, den Rabiye mit dem Charme ihres losen Mundwerks immer wieder neu erobert. Mit Regisseur Andreas Dresen trifft Stieler stets den richtigen Ton.

Das Spiel der Kölner Comedienne Meltem Kaptan ist umwerfend: Sie verleiht Rabiye eine mütterliche Wärme mit vielen Facetten: beherzt, hartnäckig und familiär tonangebend, aber doch auch ganz weich, verletzlich und hilflos auf ihren Sohn bezogen.

Murat Kurnaz – ein deprimierender juristischer Fall

Es ist eigentlich unmöglich, eine so empörende und zugleich deprimierende juristische Fallgeschichte in einem Film zu verarbeiten, der nicht nur zutiefst menschlich, sondern auch humorvoll ist. Doch Dresen und Stieler gelingt ein sozialrealistisches Drama über die Suche nach Gerechtigkeit, das sich mit den besten Filmen von Ken Loach messen kann und in seiner humorvoll-sensiblen Filmsprache zugleich singulär ist.

Der Film versäumt es auch nicht, darauf aufmerksam zu machen, wie die Bundesregierung mit dem Fall Kurnaz umging. Schon im September 2002 kam der Bundesnachrichtendienst zu dem Schluss, dass gegen Kurnaz kein Terrorverdacht bestand. Doch die von den USA angestrebte Freilassung erfolgte nicht.

Während der Inhaftierung versuchten die deutschen Behörden sogar, ihm das Aufenthaltsrecht zu entziehen und eine Rückkehr nach Deutschland unmöglich zu machen. Es ist der couragierten Arbeit des Anwalts Bernhard Docke zu verdanken, dass dies vereitelt wurde und die Zivilgesellschaft am Schicksal von Murat Kurnaz Anteil nahm. Und nicht zuletzt einer mutigen Frau, deren Liebe zu ihrem Kind keine Grenzen kennt.

Der Film “Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush” läuft am Mittwoch, 11. September, um 20.15 auf Arte.