Psychologe: Schweigende Mehrheit soll gegen Antisemitismus aufstehen

Der deutsch-israelische Psychologe Michael Naor wünscht sich von der „schweigenden Mehrheit“ in Deutschland, sich öffentlich gegen Antisemitismus zu positionieren. Der 9. November, der Jahrestag der Reichspogromnacht 1938, sei diesmal „ganz anders“ als in allen Jahren zuvor, sagte Naor, der sich in der jüdischen Gemeinde Düsseldorf engagiert, am Donnerstag dem Radiosender WDR 5. Jetzt sei Antisemitismus nicht mehr nur in der Erinnerung der Eltern und Großeltern präsent, „sondern tatsächlich hier vor unseren Augen und vor unseren Türen“.

Nach den Terrorangriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober habe die jüdische Gemeinschaft eine Welle der Solidarität erlebt, sagte der in Tel Aviv geborene Psychologe. Trotzdem gebe es eine schweigende Mehrheit, von der er sich wünsche, dass sie ihre Komfortzone verlasse, lauter werde, auf die Straßen gehe und deutlich zeige, dass Antisemitismus in Deutschland nicht geduldet wird. „Das fehlt ein bisschen.“ Wenn es um die Rechte indigener Menschen in den USA oder den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine gehe, hätten sich viele Menschen leichter mobilisieren lassen, sagte Naor.

Die Bilder von antisemitischen Plakaten und Parolen auf Demonstrationen machten vielen jüdischen Menschen Angst, mahnte der Psychologe. Dazu trügen auch die antisemitische Hetze und Fake News in Sozialen Medien bei. Solche Ängste seien begründet und nicht irrational. Er habe etwa mit jüdischen Studierenden gesprochen, die im Alltag mit viel Hass konfrontiert würden. Wichtig sei dabei, sich nicht von Angst lähmen zu lassen. Aktiver Zusammenhalt und Austausch seien in solchen Situationen wichtig, betonte Naor.

Mit der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 waren die Nationalsozialisten zur offenen Gewalt gegen die jüdische Minderheit übergegangen. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass mehr als 1.300 Menschen getötet und mindestens 1.400 Synagogen in Deutschland und Österreich stark beschädigt oder zerstört wurden.