Artikel teilen:

Psychologe: Faire Verantwortung braucht mehr als schöne Worte

Wer sich kümmern will, braucht Zeit und Kraft dafür: Ein Psychotherapeut erklärt, warum das auch ein Thema für die Politik ist. Sonst drohen Überforderung – und der Rückzug ins Private.

Wenn Politik mehr Engagement von Bürgerinnen und Bürgern fordert, muss sie dieses auch ermöglichen: “Schön wäre zum Beispiel, wenn wir alle drei Tage arbeiten würden und zwei Wochentage hätten, um uns politisch einzubringen, gesamtgesellschaftlich Verantwortung zu übernehmen”, sagte der Psychotherapeut Nils Spitzer der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Derzeit müssten viele Menschen an freien Tagen jedoch einem Nebenjob nachgehen, um über die Runden zu kommen.

“Selbst wenn viele Menschen bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, müssen Staaten das eben auch ermöglichen – zeitlich, zum Beispiel”, erklärte der Autor des Buchs “Krank vor Verantwortung?”. Es sei wichtig, dass diese Bereitschaft der Einzelnen ernstgenommen werde – denn eine Gesellschaft, in der immer mehr Menschen keine Nachrichten mehr verfolgten und mit zahlreichen Geschehnissen nichts zu tun haben wollten, könne nicht funktionieren.

Appelle für mehr individuellen Einsatz allein reichten nicht, mahnte Spitzer. “Ich sehe es sogar als Risiko an, dass sich Leute angesprochen fühlen, die sowieso schon ein großes Verantwortungsgefühl haben – die sich dann in der Pflicht sehen, auch noch diese Belastung zu übernehmen. An anderen perlt es einfach ab.” Da auch Begriffe wie “Eigenverantwortung” gesellschaftlich Konjunktur hätten, sei es wichtig, das eigene Verhältnis zu diesem Thema zu überprüfen.

Häufig werde der Begriff der Verantwortung sehr einfach und handlungsnah genutzt, kritisierte der Experte: “Man denkt, eine einzelne Handlung führe zu einem Ergebnis, für das man sich dann verantworten müsse. So eng sind die Verbindungen aber oftmals nicht.” Das gelte vor allem in komplexen Fällen, etwa Zusammenhängen zwischen Drogenkonsum und psychischen Erkrankungen, die mitunter unterstellt würden. “Der Verantwortungsbegriff hat Grenzen”, so Spitzer. “Im Alltag ist er brauchbar, aber wenn es etwa um Gesundheit geht, gilt es, die Vielfalt der Einflussfaktoren zu bedenken.”