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Provokation und Erneuerung: Claus Peymann gestorben

Ein streitbarer Geist, der keinen Konflikten aus dem Weg geht, ja, sie geradezu sucht. Ein „aufgeklärter Monarch“, der immer eine zitierfähige, oft skandalträchtige Aussage auf Lager hat. Solche Beschreibungen hat Regisseur und Intendant Claus Peymann wie Trophäen gesammelt. Matthias Hartmann, unter Peymann Regisseur am Wiener Burgtheater, glaubt, Peymann war überzeugt, „die Welt konnte nur entstehen, weil er beim Urknall ‘Los’ gesagt hat“.

Mit 88 Jahren ist der leidenschaftliche Theatermann gestorben: „Er bleibt als unbeugsamer Streiter für die Freiheit der Kunst in Erinnerung“, würdigte ihn Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos). Peymann sei ein „Titan des Theaters, ein Meister der Zumutung und Erneuerung“ gewesen. Er habe die Bühne stets auch als „Kampfschauplatz“ verstanden.

Die „Berliner Zeitung“ zitierte einmal Peymanns Selbstbeschreibung als „Reißzahn im Arsch der Mächtigen“ – ein Satz, den Peymann so nicht wörtlich gesagt hatte, der ihm aber gefiel. Seine langjährige Wirkungsstätte als Intendant des Berliner Ensembles lag schließlich unmittelbar am Regierungsviertel. Von „Götterdämmerung“ war die Rede, als Peymann am Berliner Ensemble und Frank Castorf an der Volksbühne im Sommer 2017 ihren Abschied aus Berlin nahmen.

Sein Gespür für die Stimmungen der Zeit hatte Peymann schon früh unter Beweis gestellt. Mit einem Paukenschlag führte er sich in die deutschsprachige Theaterlandschaft ein: Am 8. Juni 1966 fand im Frankfurter Theater am Turm die Uraufführung von Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ statt. „Ein legendärer Abend“, sagte Peymann später selbst in einem Interview. Handkes Text sei „das Stück der 68er gewesen, das heißt, der Aufstand gegen das Bestehende“.

Theater als Opposition gegen Autoritäten, als Fortsetzung des Marsches durch die Institutionen – trotz dieses emanzipatorischen Credos war Peymann nie ein Freund des Mitbestimmungsmodells am Theater, das in den 70er Jahren in einigen Häusern Einzug hielt. Aber er war nicht nur der „Despot“, der für seine cholerischen Ausfälle bei den Proben berüchtigt war. Peymann verstand sich auch als Kopf eines Leitungsteams, zu dem jahrzehntelang der Dramaturg Hermann Beil gehörte. Mit einem Stamm renommierter Schauspielerinnen und Schauspieler, darunter Bernhard Minetti, Gert Voss und Kirsten Dene kartierte er – etwa zeitgleich mit Größen wie Peter Zadek, Peter Stein und Andrea Breth – die deutsche Theaterlandschaft neu.

Für einen Skandal sorgte er 1976 als Schauspieldirektor in Stuttgart. Eine Straßenbahn fährt durch die Vorstadt, die Kamera zoomt auf ein Schild: „Stammheimer Straße“. Mit diesen Videobildern beschloss er seine Inszenierung des Dramas „Die Gerechten“. Albert Camus’ Stück aus dem Jahr 1949 thematisiert die Legitimität des Tyrannenmordes, Peymann assoziierte es mit den Taten der Gründungsmitglieder der „Roten Armee Fraktion“ (RAF), die im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses von Stuttgart-Stammheim inhaftiert waren.

Das war eine Provokation, die Peymann den Ruf eines „Terroristenfreundes“ eintrug. Anonyme Beleidigungen („Kommunistenschwein“) und Morddrohungen, einschließlich Rücktrittsforderungen aus der Politik, erhielt Peymann im Jahr darauf, als er theaterintern zu Spenden für die Zahnbehandlung der als Terroristin angeklagten Gudrun Ensslin aufrief.

Nach Frankfurt und Stuttgart folgte eine experimentierfreudige Phase am Bochumer Schauspielhaus, danach als der wohl wichtigste Abschnitt: die turbulente Intendanz am Wiener Burgtheater zwischen 1986 und 1999 und schließlich die von ungezählten Konflikten begleitete Leitung des Berliner Ensembles von 1999 bis 2017.

Neben Peter Handke war es vor allem Thomas Bernhard, um dessen Werk sich Claus Peymann als Uraufführungsregisseur verdient machte. Gerne bezeichnet er sich als „Bernhards Witwe“. Stücke wie „Minetti. Ein Porträt des Künstlers als alter Mann“ (1976) und „Vor dem Ruhestand“ (1979) wurden schon in Stuttgart gefeiert. In Bochum folgten Werke wie „Über allen Gipfeln ist Ruh“ (1982) und „Der Theatermacher“ (1985, in Verbindung mit den Salzburger Festspielen).

Die Beschäftigung der beiden mit dem Thema der deutschen und österreichischen Nazivergangenheit kulminierte in der Uraufführung von Bernhards Stück „Heldenplatz“ anlässlich des 100. Jubiläums des Burgtheaters im Sommer 1988. Bernhards Attacke auf das Österreich der Gegenwart, das „noch viel schlimmer als vor fünfzig Jahren“ sei, fand unter Polizeischutz und lautstarken Protesten statt.

Auch nach seinem Abschied vom Berliner Ensemble setzte sich Peymann nicht zur Ruhe, war weiter als freier Regisseur tätig, wenn es seine Gesundheit erlaubte. Dass es nicht immer die vermeintlich großen Bühnen waren, die er bespielte, focht Peymann dabei nicht an. „Da, wo ich bin, ist die Mitte“, sagte er 2022 der „Süddeutschen Zeitung“.