Protest und Sorge nach Angriff Aserbaidschans auf Berg-Karabach
Neue Eskalation im Berg-Karabach-Konflikt: Aserbaidschans Armee beschoss am Dienstag Ziele in der armenischen Enklave. Viele befürchten einen bevorstehenden Großangriff bis hin zum Völkermord. Baku sieht sich im Recht.
Menschenrechtler und Kirchenvertreter reagieren entsetzt auf die Nachrichten über einen neuen Angriff aserbaidschanischer Streitkräfte auf das mehrheitlich von Armeniern bewohnte Berg-Karabach. Sie warnen vor einem drohenden Genozid an den Einwohnern der Konfliktregion. Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verurteilte am Rande der UN-Vollversammlung in New York den Militäreinsatz.
Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew wolle „die Vertreibung der armenisch-christlichen Bevölkerung“ aus der Enklave erreichen, erklärte die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) am Dienstag in Frankfurt. Sie befürchtet gewaltsame sogenannte ethnische Säuberungen. Die Menschenrechtler sprachen von einem Angriffskrieg, der aufs Schärfste zu verurteilen sei. Die IGFM forderte Deutschland und die EU zu Sanktionen gegen das Alijew-Regime auf. Es gehe um die Frage, ob der EU „Energieinteressen wichtiger als Völkerrecht und Achtung der Menschenrechte sind“, sagte IGFM-Generalsekretär Matthias Boehning.
Die armenisch-apostolische Kirche appellierte an die internationale Gemeinschaft, Baku zurückzuhalten und „angemessen auf die völkermörderischen Aktionen Aserbaidschans zu reagieren“. Das Nachbarland habe eine großangelegte Militäroperation gegen friedliche Siedlungen in der international nicht anerkannten Republik Arzach in Berg-Karabach begonnen und deren Hauptstadt Stepanakert ins Visier genommen, so die Kirchenführung in Eriwan.
Der Bischof der armenisch-apostolischen Diözese Deutschland, Serovpe Isakhanyan, erklärte, Aserbaidschan nehme „unter einem erfundenen Vorwand“ Ortschaften mit Artillerie und Drohnen massiv unter Beschuss. „Es ist offensichtlich, dass Aserbaidschan das Ziel verfolgt, mit diesen verbrecherischen Methoden die Lebensbedingungen der armenischen Bevölkerung in Berg-Karabach so unerträglich zu machen, dass die Menschen in ihrer Heimat keine Perspektive mehr sehen und die Flucht ergreifen.“ Der Westen müsse Alijew stoppen.
Von der Organisation Christian Solidarity International (CSI) hieß es, nun drohten massenhafte Tötungen bis hin zum Genozid an der angestammten armenischen Bevölkerung der Enklave. Entsprechende Andeutungen gebe es sogar aus aserbaidschanischen Regierungskreisen. Zudem drohten die Kämpfe ins benachbarte Armenien überzugreifen. Die bisherigen Partner Aserbaidschans müssten dem Land nun in den Arm fallen, um Verbrechen zu verhindern. CSI-Präsident John Eibner nannte in diesem Zusammenhang die USA, Russland, die EU, Israel und die Schweiz.
Unterdessen forderte Außenministerin Baerbock von Aserbaidschan ein sofortiges Ende der Militäraktion. Das Land müsse den Beschuss sofort einstellen und wieder Verhandlungen aufnehmen, sagte sie laut Medienberichten am Rande ihres Besuchs in New York.
Zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien im Südkaukasus kam es seit den 1990er Jahren immer wieder zu Gefechten um das mehrheitlich von christlichen Armeniern bewohnte Berg-Karabach, das auf dem Staatsgebiet des mehrheitlich muslimischen Aserbaidschan liegt. In den vergangenen Monaten riegelte dessen Militär die Enklave weitgehend ab, in die kaum noch Hilfsgüter gelangten. Zugleich verstärkte es den Aufmarsch um Berg-Karabach.
Das Verteidigungsministerium in Baku erklärte am Dienstag, armenische Artillerie habe zuvor aserbaidschanische Stellungen beschossen und mehrere Soldaten verletzt. Die eigene Militäraktion solle lediglich den Rückzug armenischer Truppen aus dem Gebiet durchsetzen, der nach dem Berg-Karabach-Krieg 2020 festgeschrieben worden sei. Die Führung in Berg-Karabach wie das armenische Verteidigungsministerium bezeichneten die Vorwürfe als unwahr.