Bundesgesundheitsministerin Nina Warken und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (beide CDU) sind sich einig: Sie wollen hierzulande die Prostitution erschweren und werben für ein Sexkaufverbot nach dem sogenannten Nordischen Modell. Doch können Prostituierte dadurch geschützt werden, dass man Bordelle schließt und ihre Freier bestraft? Und wird dadurch Menschenhandel abnehmen? Die Forschung liefert keine klaren Hinweise. Der Evangelische Pressedienst (epd) beantwortet Fragen im Zusammenhang mit dem Einsetzen einer Fachkommission zum besseren Schutz von Sexarbeiterinnen durch Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU).
Wie ist die Rechtslage in Schweden?
Schweden hat nach Angaben der Botschaft des Landes seit 1999 eine Gesetzgebung, die den Kauf sexueller Dienste unter Strafe stellt. Auch deren Vermittlung durch Bordelle oder Zuhälter fällt unter dieses Verbot. Der Verkauf sexueller Dienste hingegen ist nicht strafbar. Das Strafmaß für den Sexkauf besteht in einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. Meist wird der erstmalige Verstoß mit einem Bußgeld von 50 Tagessätzen geahndet, bei Wiederholungstaten sind es 60 Tagessätze. Bisher ist noch niemand allein wegen des Kaufs sexueller Dienste zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Welche Länder haben eine ähnliche Gesetzgebung?
Später haben Länder wie Norwegen, Frankreich, Kanada und Irland restriktive Gesetze auf den Weg gebracht. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) war schon mit der Thematik befasst. Er entschied im Juli 2024, dass das französische Verbot des Kaufs sexueller Handlungen nicht gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt. Französische Sexarbeiterinnen und -arbeiter hatten geklagt, das Gesetz schränke ihre persönliche Freiheit und sexuelle Autonomie ein. Der EGMR räumte zwar ein, dass das Verbot tatsächlich in diese Rechte eingreife, jedoch sei dieser Eingriff rechtmäßig.
Welche politische Motivation steht hinter dem Sexkaufverbot?
Für die Antwort lohnt der Blick nach Schweden. Vor dem Gesetzentwurf wurden dort Personen befragt, die sexuelle Dienstleistungen offerierten. Fast alle gaben an, sie würden das nicht aus freien Stücken tun, wenn sie eine Alternative hätten. Diese Personen waren keine Kriminellen, sondern Opfer, so die Erkenntnis der Politik. In der Untersuchung wurde zugleich deutlich, dass diejenigen, die Sex kauften, es als ihr Recht ansahen, ihren Bedürfnissen nachzugehen, auch wenn dadurch die Verletzbarkeit einer anderen Person ausgenutzt wird. Die Konstruktion des Gesetzes in Schweden soll dieses Ungleichgewicht aufheben.
Wie blickt die schwedische Bevölkerung auf das Gesetz?
Seit Inkrafttreten des Gesetzes hat laut der Botschaft die Zustimmung der Bevölkerung schrittweise zugenommen. Heute werde das Gesetz von gut 70 Prozent der schwedischen Bevölkerung unterstützt. Mit der aus dem Gesetz resultierenden Normverschiebung sei die Nachfrage nach sexuellen Diensten gesunken. Und mit einer sinkenden Nachfrage gehe auch die Attraktivität Schwedens bei Menschenhändlern zurück. Interpol beschreibe Schweden als einen toten Markt, so die Botschaft.
Welche Erfahrungen aus Schweden liegen vor?
Den Angaben nach halbierte sich die Straßenprostitution unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Gesetzes. Verglichen mit anderen Ländern sind in Schweden verhältnismäßig wenige Personen in der Prostitution tätig. Laut schwedischer Polizei liegt die Zahl zwischen 1.000 und 1.500. Die meisten davon sind Frauen. Die Sicherheit von Frauen und Männern in der Prostitution hat sich nicht verschlechtert. Seit Inkrafttreten des Gesetzes 1999 ist bei der Polizei nicht ein einziger Bericht über schwere Gewalt gegen Prostituierte eingegangen. Es hat auch keine Morde an ihnen gegeben.
Zu welchen Erkenntnissen kommt die Forschung?
Die Diakonie Deutschland verweist auf eine Auswertung von 134 qualitativen und quantitativen Studien zu Folgen repressiver Gesetzgebung oder Praxis: „Prostituierte werden isoliert und in kaum kontrollierbare Arbeitsorte gedrängt.“ Es werde ihnen schwergemacht, sich gegenseitig zu unterstützen und Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Ihr Zugang zu Gesundheits- und Sozialberatung sowie zu Polizei und Justiz werde eingeschränkt.
In einer Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte aus dem Jahr 2019 heißt es: „Insbesondere für die Situation in Schweden liegen mittlerweile viele verschiedene Studien vor. Deren Ergebnisse werden sowohl als Argument für den Erfolg als auch für den Misserfolg der gesetzlichen Regelung im Sinne ihrer Zielerreichung, nämlich Verringerung der Prostitution und des Menschenhandels, herangezogen. Konsens scheint zu sein, dass sich die Straßenprostitution durch das Gesetz verringert hat. Ob das Verdrängungseffekte produziert und somit nicht zu einer Abnahme der Prostitution geführt hat, ist jedoch umstritten, unter anderem, weil es keine vergleichbaren Daten zur Situation vor der Einführung des neuen Gesetzes gibt.“
Welche Argumente führen die CDU-Politikerinnen Warken und Klöckner für eine Gesetzesänderung an?
Die bisherige Gesetzgebung in Deutschland schütze Prostituierte bislang nicht ausreichend, betont Klöckner. Weder das Prostitutionsgesetz noch das Prostituiertenschutzgesetz würden Frauenrechte nachhaltig stärken. Übergriffe, die Übermacht von Männern und Unfreiwilligkeit seien weiter präsent. Deutschland sei der „Puff Europas“, sagte Klöckner. Warken sagte, Prostituierte sollten künftig straffrei bleiben und umfassende Ausstiegshilfen erhalten.
Wie lauten die Argumente gegen eine solche Reform?
Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen ist strikt gegen ein Sexkaufverbot. Das habe in Ländern wie Schweden und Frankreich zu katastrophalen Ergebnissen geführt: „Unter dem Vorwand, Sexarbeitende zu schützen, hat es genau das Gegenteil bewirkt: Sexarbeitende wurden in die Illegalität gedrängt, ihre Arbeit wurde faktisch kriminalisiert, ihre Sicherheit massiv gefährdet“, so der Verband. Und die Diakonie betont: „Verbote verhindern weder Prostitution noch dämmen sie negative Auswirkungen ein. Wo Zwang und Gewalt ausgeübt werden, bieten Rechte durch Gesetz besseren Schutz.“
