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“Prostitution hat mich dauerhaft traumatisiert”

Prostitution ist in Deutschland legal. Politiker und Berater wollen mehr Schutz für Betroffene: Die wenigsten machten dies freiwillig, viele seien schwer traumatisiert. Hinzu kommt: Freier würden immer brutaler.

“Für mich ist eine Hure schlichtweg ein Stück Fleisch, das mich zu befriedigen hat.” Aussagen wie diese aus einem Freierforum stoßen ab – und machen nachdenklich. Ist Prostitution eine Arbeit wie jede andere? Als das gilt sie in Deutschland nach geltender Gesetzgebung. Ist Sexarbeit eine Dienstleistung – etwa so, als würde man jemandem die Haare schneiden? Ist Sexkauf wie ein Friseurbesuch?

Kritiker des in Deutschland seit 2002 legalen Sexkaufs propagieren die Einführung des sogenannten Nordischen Modells, das in Schweden seit rund 20 Jahren existiert und das mittlerweile etwa auch in Frankreich, Israel, Island, Kanada und Irland gilt. Dabei ist Sexarbeit verboten, aber nicht die Prostituierten werden kriminalisiert, sondern Freier bestraft. Zudem werden Ausstiegsangebote geschaffen und bereits Schülerinnen und Schüler zum Thema aufgeklärt.

Offiziell als sogenannte Sexarbeiterinnen registriert sind 32.000 Frauen in Deutschland; Fachleute gehen gleichwohl von einer Dunkelziffer aus, die in die Hunderttausende geht. Das Thema beschäftigt die Politik: Familienministerin Karin Prien (CDU) will mittels einer Unabhängigen Expertenkommission prüfen, welche Handlungsoptionen Bund, Länder und Kommunen haben, um das zur Zeit geltende Prostituiertenschutzgesetz sinnvoller umzusetzen. Die Einführung des Nordischen Modells in Deutschland, für das sich auch CDU-Gesundheitsministerin Nina Warken und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner ausgesprochen haben, könnte eine Option sein.

Ronja Wolf, 39 Jahre alt, hat jahrelang als Prostituierte gearbeitet. Sie sagt: “Es hat mich dauerhaft traumatisiert. Wolf, die aus schwierigen Familienverhältnissen stammt und schon in Kindheit und Jugend schwere Gewalt erfahren hat, wie sie erzählt, wählte den Weg in die Prostitution freiwillig. “Als ich den Kontakt zu meiner Familie abgebrochen hatte und auf der Straße stand, sah ich darin einen Weg, schnell Geld zu verdienen.” Dazu habe auch beigetragen, dass sie in ihrer Jugend etwa Talkshows gesehen habe, in denen Prostituierte von ihrem tollen Leben berichteten. “Das hat mich geprägt und ich dachte, dass es nicht so schlimm sein kann.”

Fakt sei aber: “Es hat mich dauerhaft traumatisiert. Und das, obwohl ich mich freiwillig dafür entschieden habe. Ich habe mich von Typen penetrieren lassen, mit denen ich sonst nie eine Berührung getauscht hätte. Das hat mir über die Jahre massiv geschadet.” Prostitution an sich sei das Problem – auch dann, wenn es nicht zu Gewalt oder erniedrigenden Praktiken komme, sagt die Sprecherin des Netzwerks Ella, einer Interessensvertretung von Frauen, die selbst von Prostition betroffen waren oder sind.

Hinzu kommt, dass viele Frauen, die in dem Milieu landen, bereits traumatisiert sind – wie Ronja. “Eigentlich habe ich diesen Weg auch als Selbstbestrafung gewählt”, sagt sie, die mit viel Mühe den Ausstieg geschafft und mittlerweile studiert hat. Sie kritisiert zudem, dass das seit mehr als zehn Jahren geltende Recht, das zu einer Entstigmatisierung von Prostituierten beitragen sollte, gar nicht diese Wirkung habe: Auch nach einem Ausstieg sei es sehr schwierig, einen Job zu finden, sobald der Arbeitgeber von der Vergangenheit erfahre. Mit dem geltenden Gesetz werde “Prostitution verharmlost”; gleichzeitig werde man für die Tätigkeit nach wie vor stigmatisiert.

Cathrin Schauer-Kelpin von der Beratungsstelle Karo, einem Verein, der Prostituierte in Deutschland und Tschechien betreut, beklagt eine “verzerrte Darstellung in der deutschen Öffentlichkeit, was Prostitution für die Betroffenen bedeutet.” In den allermeisten Fällen vegetierten Prostituierte vor sich hin; sie hätten keine finanzielle Alternative, seien durch ihre Tätigkeit physisch und psychisch stark belastet. Oft hätten sie geringe Deutschkenntnisse und könnten sich mit Freiern nicht einmal verständigen. “Die reiche Prostituierte ist das Märchen, das gern erzählt wird. Die habe ich in meiner über 30-jährigen Arbeit nicht getroffen”, sagt die Beraterin. Auch habe die Brutalität der Freier deutlich zugenommen.

Die Leiterin der Fachberatungsstelle SOLWODI Aachen, Maria Jordan, erklärt: “Die meisten Frauen tun es aus finanziellen Notlagen heraus. Sie entschließen sich, das bis zu einem gewissen Grad zu ertragen, um etwa die Familie zu Hause im Ausland unterstützen zu können.”

Eine Aussage von Frauen vor Gericht sei nur schwer zu erwirken. Viele hätten Sorge, selbst belangt zu werden. Das betreffe etwa Frauen, die sich mit illegalen Papieren im Land aufhielten oder auch Frauen, die sich nicht offiziell als Sexarbeiterin angemeldet hätten, sagt Jordan.

Auch sie kritisiert die geltende Gesetzeslage: “Nur weil es einen Anmeldeprozess gibt, ist es nicht so, dass es keine Zwanglagen gibt. Der Bereich zwischen Zwang und eigener Entscheidung ist fluide.” Manchmal gebe es schlicht einen Mangel an Alternativen. Oder man entscheide sich zunächst freiwillig dafür, daraus entwickle sich dann aber eine Zwangslage.

Nach Einschätzung von Kriminalhauptkommissar Wolfgang Fink, der jahrelang zu organisierter Kriminalität im Rotlichtmilieu ermittelt hat, macht sich die Gesellschaft beim Thema Prostitution auch deshalb etwas vor, weil sie von dieser Welt nichts wisse. “Das Rotlichtmilieu schafft es, unter dem Radar zu bleiben. Dieses Gewerbe schottet sich ab. Die Öffentlichkeit kriegt nichts davon mit. Es ist eine Parallelwelt. Das macht es auch schwierig, aus diesem Milieu herauszukommen.”