Predigt vom 13.9.2015

Predigt vom 13.9.2015 Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen Liebe Gemeinde, ich kriege die Bilder nicht aus dem Kopf. Ich soll und will mich mit dem Bibeltext für diesen Sonntag beschäftigen und die Bilder schieben sich immer darüber. Der kleine ertrunkene Junge am türkischen Strand. Die hunderten Flüchtlinge auf der ungarischen Autobahn. Der Tumult am Flensburger Bahnhof, als bekannt wurde, dass Dänemark die Grenzen geschlossen hat. Ich sehe brennde Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland und ich sehe Menschen, die Spenden, Kleidung, Spielsachen, Essen und Getränke bringen. Und ich höre Stimmen dazu, Stimmen der Helfenden und Hilfswilligen, die alleingelassen werden mit dem Ansturm der Flüchtlinge: Wir wissen gar nicht, wieviel kommen, wann sie kommen und wieviele Kinder dabei sind. Wir wissen gar nicht, worauf wir uns vorbereiten sollen. Stimmen der Flüchtlinge: ich will doch nichts weiter als dort zu leben, wo meine Familie ist. Ich habe eine Fahrkahrte, warum lässt mich keiner durch. Ich will doch nur leben und ich will, dass meine Kinder es einmal besser haben sollen. Was mir persönlich Angst macht in diesen Tagen, ist, dass offensichtlich die Politiker Deutschlands und Europas keinen Plan haben, und was mich hilflos macht, sind die Äußerungen meiner Rostocker Mitmenschen, die sagen: Ich habe so lange alleine gelebt, ich will jetzt nicht meine Wohnung mit einem Flüchtling teilen (was ja auch niemand ernstlich fordert). Oder die Meinung: ich war nach dem Krieg selbst Flüchtling und niemand hat mir etwas geschenkt, ich habe mir alles selbst hart erarbeiten müssen, ich habe nichts zu verschenken. Die Flüchtlingskatastrophe polarisiert die Menschen hier in Deutschland und ich vermute, es geht den meisten genauso ambivalent wie mir – zwischen Wut, Ohnmacht, Hilfsbereitschaft und Fassungslosigkeit. Und mitten hinein lese ich immer wieder den Predigttext für diesen Sonntag: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Vor drei Jahren hat der Kirchengemeinderat einen Gottesdienst zu diesem Thema gestaltet. Mit viel Schwung waren wir an die Sache herangegangen. Mit Sorgen kennen wir uns ja schließlich aus. Mit der Sorge um die Gesundheit, mit der Sorge um das finanzielle Auskommen, vielleicht auch mit der Sorge um Haus und Hof, mit der Sorge um die Kinder. Aber je länger wir uns mit dem Thema beschäftigten, desto kleinlauter wurden wir, bis kurz vor dem Gottesdienst dann schließlich leise die Frage gestellt wurde: Wollen wir nicht lieber einen anderen Text nehmen? Denn wir hatten festgestellt: Mit dem Sorgen machen sind wir vertraut, mit dem Sorgen loslassen aber nicht. Wie ist das denn, wenn wir uns NICHT um unseren Arbeitsplatz sorgen, wenn wir uns NICHT um unsere Kinder sorgen? Sie werden nicht mehr zur Schule gehen, den ganzen Tag mit dem Smartphone rumdaddeln und sich ausschließlich von Gummibärchen ernähren. Und mit 30 oder so werden sie uns Vorwürfe machen, dass wir uns nicht gesorgt haben, dass uns alles egal war. Und in unserer jetzigen schwierigen Situation, in der niemand eine Lösung weiß – sollen wir uns etwa NICHT sorgen? Sollen wir die Dinge weiter so schlecht laufen lassen, wie sie laufen? Unser Gewissen mit ein paar Euro Spende beruhigen? Das kann nicht mit diesem Bibelvers gemeint sein. Und das ist auch nicht das, was Jesus von uns sonst fordert. Ich kann mir vorstellen, dass die Situation zur damaligen Zeit nicht einfacher war, weniger komplex und global sicher, aber einfacher nicht. Es gab die römische Besatzungsmacht, die das Leben bestimmte und wo man nie wusste, wie es sich entwickelt. Die fremde Religion, die sie mitgebracht hatten und die sich breit machte. Die Last der Steuern und Abgaben, unter denen das Volk stöhnte. Der Kaiser im fernen Rom, der das Leben und die Struktur des Landes bestimmte. Die Nachbarn, die mit der römischen Besatzungsmacht gemeinsame Sache machten. Wem konnte man noch trauen? Nein, einfacher war das nicht als heute, nur anders schwierig. Jesus sagt nicht: Lasst alles laufen, ihr könnt eh nichts ändern. Aber was sagt er denn? Die Gefahr bei so bekannten Texten ist die, dass man schnell weghört. Kenn ich, weiß ich. Kann ich nichts mit anfangen oder wer ein bisschen biblisch versierter ist, erinnert sich, dass diese Worte in der Bergpredigt stehen, und nach der zu leben, schafft ein Normalsterblicher ohnehin nicht. Also Grund genug, etwas genauer auf den Text zu schauen. 1. Zunächst versammeln sich die Menschen, um Jesus zuzuhören. Das ist doch selbstverständlich? Ich weiß nicht, ob die Menschen damals soviel anders waren als wir heute: heute ist bei vielem, was wir tun, ist ein Blick aufs Smartphone, oder einer aufs Navi, nebenher dudelt das Radio oder der Fernseher. Einer quatscht immer dazwischen, weil er nicht abwarten kann, bis der andere ausgeredet hat und er selber dran ist. Zuhören, zuwenden heißt das Zauberwort und das ist schon schwer genug. 2. sind wir so gestrickt, dass wir immer etwas machen wollen, machen müssen. Sich hinsetzen und etwas NICHT machen, fällt uns schwer, und ist für viele Zeitgenossen schlicht unmöglich. Genau das fordert Jesus aber: Sorgt euch nicht! Macht mal nichts! Verfallt nicht in hektischen Aktionismus. Das ist alles nicht nötig. Ihr MÜSST mal nichts tun! 3. Lenkt Jesus unseren Blick auf Gott, der weiß, was wir brauchen. Jesus empfiehlt uns, es doch mit Gottvertrauen zu versuchen. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft. Das ist schwierig und es ist schwieriger, je jünger man ist. Das habe ich noch so aus unserem Gottesdienst von vor drei Jahren in Erinnerung. Wenn die Kinder noch klein sind und zur Schule gehen, ist man als Mutter oder Vater ganz mit dem Familienmanagment beschäftigt. Man ist den ganzen Tag, die ganze Woche, das ganze Jahr in Aktion und arbeitet unzählige Listen im Laufe der Zeit ab, um ja nichts zu vergessen oder zu verpassen, dass einem ja nichts durchrutscht, was wichtig wäre. Ich erinnere mich, als mein jüngster Sohn ja sehr plötzlich zu Hause auszog, dass ich bestimmt ein Vierteljahr oder länger brauchte, mich daran zu gewöhnen, dass ich jetzt nicht mehr managen musste, sondern nur noch beratend tätig sein durfte. 4. Gefällt mir am allerbesten der letzte Satz: Sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat. Eins unserer größten Probleme ist nämlich, dass wir uns Sorgen für übermorgen, übernächste Woche und übernächstes Jahr machen. Ich schnappte kürzlich mal den Begriff „konjunktive Befürchtungen“ auf, ich liebe dieses Wort, denn es bringt unser Problem auf den Punkt: Wir machen uns viele Sorgen über Dinge, die geschehen KÖNNTEN. Und vergessen darüber oft die Dinge, die gerade geschehen, und um die wir uns sehr wohl sorgen sollen, oder vielmehr, FÜR die wir sorgen sollen. Weil sie gerade in diesem Moment dran sind, weil sie niemand anders machen kann, weil sie gerade mir vor die Füße gefallen sind. Was sagt uns nun dieser so bekannte Bibeltext für unsere schwierige Zeit und unsere schwierige Situation? Er sagt ganz sicher nicht: Lehn dich zurück und hör auf dir Sorgen zu machen, und vertraue auf Gott. Sondern er sagt: Halte inne in deinem Hamsterrad, schau genau hin und sieh dir die schwierige Situation an. Fang nicht sofort an, in blinden Aktionismus zu verfallen. Überlege, was von den Problemen DIR HEUTE vor die Füße gefallen ist. Darum kümmere dich. Und mach das morgen genauso, und übermorgen. Und überübermorgen auch. Sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat. Amen Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen