Präses Kurschus mahnt zu Streitkultur und engagierter Kirche
Das 500. Reformationsjubiläum hat die gesellschaftliche Bedeutung der evangelischen Kirche gezeigt. Zu viel Nähe zu Staat und Gesellschaft seien aber nicht gut, sagt die westfälische Präses Kurschus. Sie sorgt sich auch um die Streitkultur.
Bielefeld (epd). Mit Appellen zu einer offenen Streitkultur in Deutschland und einer auch politisch engagierten Kirche hat am Montag die diesjährige Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen begonnen. Präses Annette Kurschus forderte in ihrem traditionellen Bericht vor dem Kirchenparlament in Bielefeld eine neue Gesprächskultur in Streitfragen wie der Flüchtlings- Migrationspolitik. Die Kirche müsse sich auch politisch äußern und engagieren. Zugleich warnte die stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vor zu großer Nähe zu Staat und Gesellschaft.
An Fragen der Zuwanderung scheiden sich nach Kurschus' Worten nach wie vor die Geister: «Mit diesen Fragen werden Wahlen gewonnen und verloren, ihretwegen können Regierungsbildungen scheitern, und wenn sie gelingen sollten, dann werden sie es trotz dieser Fragen tun», sagte die leitende Theologin, ohne auf das Scheitern der Sondierungen für eine neue Regierungskoalition einzugehen. Beim Thema Migration bündelten sich schon lange bestehende soziale Verwerfungen und Risse, Ängste und Unzufriedenheiten sowie Identitätsfragen. Vielleicht müsse der Umgang mit Streit und Konflikten ganz neu gelernt werden.
Echter Meinungsaustausch finde heute oft nur da statt, wo man sich ohnehin einig sei, beklagte Kurschus. Es sei aber die Chance und die Aufgabe politischer und zivilgesellschaftlicher Debatten, «aus Feinden Leute zu machen, die miteinander reden und einander zuhören statt einander zu bekämpfen, zu beschimpfen oder zu beschweigen». Die Christen sieht Kurschus gefordert, in Wort und Tat «die Menschenfreundlichkeit Gottes zu bezeugen und ihr zu vertrauen», etwa im Blick auf Flüchtlinge und den Klimawandel.
Entschieden widersprach die westfälische Präses Auffassungen, Kirche und Glaube sollten sich aus der Politik heraushalten: Das Evangelium spreche mitten hinein in die ganze Wirklichkeit und kein Bereich sei davon ausgenommen, «also auch nicht der Raum des Politischen».
Dabei dürfe sich die evangelische Kirche bei aller Wertschätzung im Jahr des 500. Reformationsjubiläums nicht auf die Rolle einer Werteagentur begrenzen lassen, mahnte die EKD-Ratsvize: «Wo Religion und Glaube als sozialer Kitt dienen sollen und wo man die Kirche lediglich als Harmonieagentur braucht, geschieht eine gefährliche Verkürzung.» Glaubwürdig und gesellschaftlich relevant sei das Evangelium besonders, «wo es in seiner gegenkulturellen und kritischen Kraft wahrgenommen und ernstgenommen wird».
Kurschus zog vor dem Kirchenparlament der 2,3 Millionen westfälischen Protestanten eine durchweg positive Bilanz des Reformationsjubiläums. Es habe eine Dynamik entfaltet, die selbst ihre kühnsten Erwartungen übertroffen habe, neue Kontaktflächen an den Rändern von Kirche seien entstanden und neue Kooperationspartner gewonnen worden. Manche Kirchenleute hätten überrascht festgestellt: «Wir sind gefragter, als wir selbst dachten. Unser Glaube interessiert mehr Menschen, als wir selbst zu hoffen wagten.» Auch die Ökumene wurde nach Einschätzung der westfälischen Präses durch das Jubiläumsjahr befördert.
Im Eröffnungsgottesdienst der Synode rief die Bielefelder Superintendentin Regine Burg dazu auf, die Kirche auch für Menschen außerhalb der Gemeinde attraktiv zu machen. Wo die Kirche Gottes Nähe nicht ausstrahle, sei sie wie vor 500 Jahren herausgefordert, sich so zu reformieren, dass «Gottes Wohnung in dieser Welt spürbar wird».
Auf der Tagesordnung der Landessynode stehen bis Donnerstag die Wahl eines neuen Theologischen Vizepräsidenten, die künftige Gestaltung des Pfarrberufs und die Situation der Christen im Nahen Osten. Außerdem beschließt das Kirchenparlament bei seiner Jahrestagung den Haushalt für das kommende Jahr.