Prägende Frauen aus der Greifswalder Geschichte

Sie waren ungewöhnlich klug oder talentiert und mutig – aber trotzdem nicht oft im Blick: Greifswalder Frauen aus sechs Jahrhunderten. Eine neue Broschüre weist auf sie hin.

Antje Heinrich-Sellering sprach während der Grefswalder Kulturnacht über Frauen  der Geschichte
Antje Heinrich-Sellering sprach während der Grefswalder Kulturnacht über Frauen der GeschichteSybille Marx

Greifswald. Wer durch die Greifwalder Altstadt spaziert, kann sie überall an den Häusern entdecken: Gedenktafeln, die an berühmte, verdiente Menschen aus 800 Jahren Stadtgeschichte erinnern: Professoren, Politiker, Pädagogen, Musiker – über 60 Tafeln sind es insgesamt. Doch wer die Namen liest, könnte meinen, in Greifswald hätten nur Männer gelebt. Gerade mal vier Tafeln erinnern an Frauen.

Erklärbar aus der Geschichte der Frauenunterdrückung und doch ein Unding, finden Antje Heinrich-Sellering von der Domgemeinde, die Katholikin Ruth Bördlein und weitere Mitstreiter aus dem Verbund der „Hansischen Frouwen“. „Wir wollen, dass man Frauen so selbstverständlich nennt und kennt wie Männer“, sagt Ruth Bördlein; und zwar nicht für das, was sie anhatten, sondern für das, was sie bewirkten. Zusammen mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt und dem Verein der Soroptimistinnen haben sie darum eine Broschüre von 2013 neu herausgegeben: 27 Greifswalderinnen aus der Zeit von 1412 bis 2018 stellen sie darin vor, viele mit Kirchenbezug. Margarethe Lachmund zum Beispiel: eine mecklenburgische Pastorentochter, die im Zweiten Weltkrieg Pakete und Briefe an jüdische Nachbarn in den KZs schickte. Seit 1940 gehörte sie zu jenen Widerstandszirkeln, die auch das Umfeld für die kampflose Übergabe der Stadt Greifswald am 30. April 1945 schufen – und der Stadt damit viel Leid und Zerstörung ersparten. „Sie war sensibel, beherzt und mutig“, schreiben die Hansefrouwen über sie.

Greifswalder Bachwoche gegründet

Während Margarethe Lachmund schon 2013 zum Heft gehörte, bekamen die Kirchenfrauen Annelise Pflugbeil (1918 bis 2015), Julia Männchen (1939 bis 2018) und Helga Krummacher (1909 bis 1973) jetzt neu ihren Platz darin: Pflugbeil als Mitgründerin der Greifswalder Bachwoche. Julia Männchen als Theologin, die den jüdisch-christlichen Dialog in der Stadt belebte. Und Bischofsfrau Helga Krummacher als Gründerin des Greifswalder Seminars für kirchlichen Dienst (SKD), das ab 1956 junge Frauen für die Arbeit in kirchlichen Einrichtungen ausbildete. Heute gehört das SKD zu den ersten Fachschulen Deutschlands, die eine reformpädagogische Erzieherausbildung anbieten.

Empörung darüber, dass die Leistungen von Frauen viel zu oft übersehen würden, hatte die Hansischen Frouwen 2002 auf den Plan gerufen: In der Jacobikirche in der Altstadt wurde damals eine Ausstellung zur Backsteingotik gezeigt, erzählt Ruth Bördlein. Lebensgroße Figuren standen als Gesprächsrunde im Kirchenraum. der „Geist der Backsteingotik“ sollte so gezeigt werden. Doch Frauen waren nicht dabei.

Lebensgroße Figuren

„Wir als Ökumenischer Frauenkreis haben das damals kritisiert“, erinnert sich Ruth Bördlein. Doch die Ausstellungsmacher erklärten nur, man habe zu Frauen aus der Zeit keine Informationen. „Wir waren so wütend“, erinnert sich Antje Heinrich-Sellering. Die Wut ging schnell über kirchliche Kreise hinaus, die „Hansischen Frouwen“ als loser Verbund auch von Historikerinnen und Künstlerinnen bildete sich. In einer ersten Aktion schuf die Gruppe lebensgroße Frauenfiguren aus Gips und bekleidete sie mit mittelalterlichen Gewändern. „Die haben wir dann in einer Prozession durch die Stadt zur Jacobikirche getragen“, erzählt Ruth Bördlein. „Das hat Aufsehen erregt!“

In der Folge begannen einzelne der „Frouwen“, in Archiven und mithilfe von Zeitzeugen weibliche Lebensgeschichten aus Vorpommern zu erforschen. „Es ist leider wirklich so, dass man über Frauen im Mittelalter nur wenig findet“, sagt Antje Heinrich-Sellering. Aber das Wenige sei besser als nichts und mit den Jahrhunderten werde es mehr. In der Broschüre, aber auch in Stadtführungen und anderen Aktionen machen sie das Gefundene fortlaufend bekannt, um den vergessenen Frauen einen Platz im öffentlichen Bewusstsein zu sichern. Wer weiß: Wenn in Zukunft jemand fragt, wer Käthe Kluth war, werden andere vielleicht sagen: „Na, die Anglistin und Germanistin, die 1959 erste Professorin der Uni Greifswald wurde! Das weißt Du nicht?!“

Info
Das Heft „Greifswalderinnen“ ist in der Stadtinfo und der Stadtbibliothek Greifswald zu erwerben.